Donnerstag, 26. November 2015

Das schiefe Weltbild

Ich habe kürzlich eine neue Doktorandenstelle besetzt. Da ich niemanden an der Hand hatte, habe ich die Stelle breit ausgeschrieben. Ich habe 73 Bewerbungen aus 25 Ländern bekommen. Die extremsten waren aus Benghazi in Lybien (200 km von Geköpften auf der Strasse) und aus Damaskus in Syrien. Offensichtlich findet dort noch eine irgendwie geartete Universitätstätigkeit statt. Ansonsten sehr viele Leute aus Iran und Pakistan. Alles junge gut ausgebildete Menschen mit dem Traum, Wissenschaft auf hohem Niveau zu machen, den sie in ihren Ländern nicht verwirklichen können. Damit sind die deutschen Kandidaten nicht gemeint, aber sehr wohl die griechischen.

Wenn ich diese Bewerbungen lese, kann ich derzeit nicht anders, als über Flüchtlinge nachzudenken. Darüber ist viel geschrieben worden, beispielsweise wortgewaltig hier. Zur Lage in Deutschland fand ich einen Beitrag zu Pegida sehr interessant, bei dem 25 Minuten Interviews mit Demonstrationsteilnehmern in Dresden zusammengeschnitten wurden.

Mir fallen mehrere Punkte auf, die sich bedingen und nicht auf Pegida beschränkt sind. Erstens haben die Leute eine diffuse Angst vor Veränderung und der Zukunft, die sich konkret an muslimischen Einwanderern festmacht. Und zweitens haben sie ein schiefes Weltbild, was der diffusen Angst Nahrung gibt. Ein dritter Punkt ist die berechtigte Frage, warum man bei Hartz-IV über 5 Euro streitet und dann aber sagt, man könne 1 Millionen Flüchtlinge aufnehmen.

Was das schiefe Weltbild angeht, so möchte ich erstmal festhalten: Die meisten von uns haben das. Eine Kontrollfrage: Wieviele Kinder hat eine durchschnittliche Familie ausserhalb der Industriestaaten? Zwei, Drei oder Vier? Antwort weiter unten! Und nun sich 20 Minuten Zeit nehmen und diesen TED-Vortrag von Hans Rosling anschauen.

You were beaten by the Chimps!
Thomas Lersch, CC-by-sa 3.0, via Wikimedia Commons
Die Antwort ist also zwei. Und ich vermute, dass auch meine geneigten Leser von den Schimpansen geschlagen wurden. Die Frage ist also: Was kann man dagegen tun, dass sehr viele Leute, auch gebildete und informierte, eine falsche Sicht davon haben, wie die Welt aussieht? Kürzlich war Rosling in einer bekannten dänischen Sendung. Das Format ist ein Zwiegespräch zwischen einem Gast und dem Moderator, der sich intensiv darauf vorbereitet, den Gast auseinanderzunehmen. Und Rosling hatte eine klare Botschaft: Man sollte die Medien nicht nutzen, um die Welt zu verstehen.

Viel zu selten wird im hektischen Alltagsjournalismus der Kontext erklärt, falls er denn überhaupt recherchiert wurde. Die Kritik ist in meiner Position etwas wohlfeil: Leisten die Universitäten genug? Wenn Nein, was sollten sie anders machen?

Extrapoliert man die Daten einige Jahrzehnte in die Zukunft, werden die heutigen Entwicklungsländer einen ansehnlichen Lebensstandard erreicht haben und die Bewohner einiges an ökonomischen Ressourcen. Wenn dann also der Klimawandel ernsthaft losgeht, werden die meisten der Leute, denen er die Lebensgrundlage entzieht oder die vor einem weiteren Krieg um Wasser flüchten, die Möglichkeit haben, ihr Land zu verlassen und zu Klimamigranten zu werden. Soweit, so dufte. Nur, eine Million Einwanderer pro Jahr wird dann die gute alte Zeit sein. Auch so ein Punkt, der in den Medien zu selten thematisiert wird.

Denn wer das nicht will, muss so schnell wie möglich handeln, die Zeit ist abgelaufen. Also am Sonntag den 29. 11. zum grossen Klimamarsch und immer brav den Router ausschalten, wenn man die Wohnung verlässt. 

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