Montag, 26. September 2011

Mit Mathematik zum NBA-Champion?

Wer die deutschen Spiele bei der Basketball-Europameisterschaft verfolgt hat, hat vielleicht bemerkt, dass Kommentator Frank Buschmann von Dirk Nowitzkis Wurf berichtete, dass dieser von Nowitzkis Mentor, Holger Geschwindner, "mathematisch" designt worden sei.

Dirk Nowitzki beim Fade away jumper;
Keith Allison; CC-by-sa 3.0


Zuerst dachte ich, dass es sich um Dirks "Signature move", den "one-legged Fade-away" handeln würde. In der Tat findet man ein Video, in dem behauptet wird, dass Dirks Wurf, wenn er sich in einem Abstand von etwa 5 Metern vom Korb befindet, hochspringt, sich zurückfallen lässt und dann vom ausgestreckten Arm aus in einem Mindestwinkel wirft, vom Gegenspieler nicht mehr geblockt werden kann. Dieser Wurf hat aber mit Geschwindner nichts zu tun, der findet den nämlich gar nicht so klasse, weil es ein Wurf ist, den man nimmt wenn sonst gar nichts mehr geht. Er ist einfach aus dem Training heraus entstanden.

In einem weiteren Artikel las ich dann folgendes:
Dirk macht Liegestützen auf den Fingerspitzen, um den Ball beim Schuss besser beschleunigen zu können und lernt eine völlig neue Wurftechnik, die Geschwindner am Schreibtisch entwickelt hat: Mit Differential- und Integralrechnung sowie etlicher Ableitungen berechnet er eine Wurfkurve, bei der der Ball selbst dann in den Korb fällt, wenn Nowitzki Fehler macht.
Das klingt ja schon ziemlich interessant, aber was soll das bedeuten? Siehe da, es gibt einen Artikel über Geschwindner in den Mitteilungen der deutschen Mathematiker-Vereinigung und da erklärt dieser, worum es eigentlich geht. Geschwindner hat also sogar Mathematik studiert und hat sich folgende Frage gestellt: Wie muss ein Wurf aussehen der in den Korb geht, aber bei dem ich beim Abwurf möglichst weit vom eigentlich Wurf abweichen kann, so dass der Ball immer noch in den Korb geht?

Offensichtlich optimal, nur physikalisch unmöglich ist ein Wurf, bei dem der Ball mit Einfallswinkel 90 Grad in der Mitte des Rings runterkommt. Physikalisch möglich, aber sowohl mathematisch suboptimal als auch unsinnig sind Würfe, mit kleinen Einfallswinkeln, weil dann geringe Änderungen am Wurf dazu führen können, dass der Ball auf den Ring prallt. Genauer kommt bei 45 cm Ring- und 23 cm Balldurchmesser raus, dass man einen Winkel von mindestens 32 Grad braucht, damit der Ball ohne Ringberührung in den Korb fällt. Der optimale Winkel hängt auch vom Abwurfpunkt ab und damit vom Spieler, wie groß dieser ist, wie lang die Arme und wie hoch er springen kann. Geschwindner hat dann, als er in Nowitzki ein Basketball-Jahrhunderttalent erkannte, den in dieser Hinsicht optimalen Wurf für Nowitzki hergeleitet.

Wurfparabel; Geof, CC-by-sa
Nur wie hat er das gemacht? Wie er sagt, mittels Differential- und Integralrechnung. Ich habe es jetzt nicht nachkonstruiert, aber hier meine Gedanken: Der Wurf ist eine Wurfparabel. Die erste Frage ist, von wo ich abwerfe. Der Basketball-Lehrbuchwurf ist im Nowitzki-Photo demonstriert, also von etwa überm Kopf. Daraus resultiert eine konkrete Wurfparabel für diesen Spieler und seinen Abstand vom Korb. Ob ich von rechts oder links werfe ist dabei egal. Die Eingangsgröße ist der Abwurfwinkel. Was Geschwindner nun optimiert hat, ist mir nicht ganz klar. Zum Einen könnten wir uns anschauen, wie stark sich der Auftreffpunkt ändert, wenn wir den Winkel ändern. Und zwar gibt es zwei wichtige Sachen: Den Winkel so wählen, dass wir am meisten abweichen können und dann, dass wir seitlich am meisten abweichen können. Sagen wir, wir wüssten was wir genau haben wollen.

Dann haben wir eine Funktion f(α+dα)=y, wobei α der Zielabwurfwinkel, dα die Abweichung davon und y die Abweichung des Wurfes vom Mittelpunkt des Rings ist. y darf nun nicht grösser als 10 cm sein. Gesucht ist nun der Wert dαmax in Abhängigkeit von α, bei dem y=10 cm ist, denn das ist die maximale Abweichung die wir uns erlauben können. Da die Wurfparabel eine quadratische Funktion ist, braucht man dazu nur die Mitternachtsformel und hat eine zweite Funktion dαmax(α). Die eigentliche Lösung ist dann das α, für das dαmax(α) maximal wird. Wie bestimmt man das? Hierfür braucht man die Differentialrechnung, man muss also die Ableitung der Funktion dαmax(α) bestimmen, diese Null setzen und die Nullstelle ausrechnen. Dann haben wir den schwierigen Teil hinter uns. Jetzt nur noch den optimalen Wurf zehntausend Stunden in der Turnhalle üben, damit wir das auf Weltklasseniveau hinkriegen und siehe da, wir werden NBA-MVP :-)

Wo Geschwindner noch die Integralrechnung eingesetzt hat, weiss ich nicht. Vielleicht hat er das ganze ja noch ein zweites mal mit den Navier-Stokes-Gleichungen modelliert und einen Strömungslöser drübergejagt. Wenn nicht, vielleicht wollen die Dallas Mavericks krasse Forscher mit ein paar Drittmittel versorgen?

Was wir eben gemacht haben, nennt sich übrigens mathematische Modellierung. Oder im Schuldeutsch: Offene Textaufgabe. Und wenn ihr das eben schwer fandet, dann geht es Euch so wie den meisten Deutschen, denn mangelnde Fähigkeiten in dieser Hinsicht sind mit ein Grund für das schlechte Abschneiden beim PISA-Test.

Interessant ist übrigens an der Sache, warum das nicht Standard unter Basketballprofis ist, bzw. diese Formeln Standardwerkzeuge von Basketballtrainern sind. Holger Geschwindner wurde für diese Sache nämlich eher belächelt, bis Nowitzki diesen Riesenerfolg hatte. Also: Sportler! Lernt mehr Mathe und werdet so gut wie Nowitzki!

Und sonst:

Dienstag, 13. September 2011

WikiCon-Nachlese

Einfach mal etwas ungeordnet ein paar Impressionen von der Wikicon, auf der ich am Wochenende war. Zunächst: Das ganze war gut organisiert, alles lief reibungslos, da haben die (fast ausschließlich freiwilligen) Organisatoren wirklich gut gearbeitet. Wie jedesmal auf Wikipedianerveranstaltungen viele interessante Gespräche mit vielen interessanten alten und neuen Bekanntschaften geführt! Danke!

Der Balkon, auch Diddl-Club genannt;
Smial, CC-by-SA 3.0

Das Programm war interessant, es gab mehrere Parallelsessions, so dass eigentlich für jeden Geschmack immer etwas dabei war. Leider war die Qualität der Beiträge durchwachsen. Hier würde ich mir von der Gesamtorganisation her wünschen, dass beim nächsten mal mehr Arbeit in die Programmqualität gesteckt wird. Zum Einen tauchen ja diverse Leute auf, die zum erstenmal einen Vortrag halten und mit wenigen entsprechenden Vorgaben und Hilfestellungen mehr leisten könnten. Konkret könnte man die Beiträge in unterschiedliche Kategorien aufteilen (Vortrag, Workshop, Diskussion, beispielsweise), zum anderen ein längeres Abstract verlangen als das jetzt der Fall war. Außerdem sollte es mehr Zeit zum diskutieren über die Inhalte geben.

Drei Sachen waren etwas schade: Einmal das Fehlen eines externen Hauptvortragenden (Rainer Hammwöhner oder Christian Stegbauer würden mir spontan einfallen), denn so schmorte man mal wieder sehr viel im Wikipedianereigenen Saft. Dann die zu geringe Zahl an Kaffeepausen. Die sind wichtig, um mehr Raum für Gespräche zu bieten. Und schließlich dass die Vorträge nicht auf Zeitschienen liefen, die ein leichteres Wechseln zwischen Vorträgen erlaubt hätten.

Inhaltlich waren in dem was ich mir angeschaut habe die Bildfilter und die Qualität von Wikipediainhalten die zentralen Themen. Vor allem letzteres, wo ich mir den Vortrag von WiseWoman zu ethischen Problemen bei Artikeln zu lebenden Personen, den von Ziko zu Enzyklopädien und den von Carbidfischer zur Nachlese der Veranstaltung "Wikipedia meets Altertumswissenschaften" angehört habe. Auf der Podiumsdiskussion war das dann auch Thema. Bemerkenswertes Statement des Journalistikprofs Klaus Meier: "Gute Qualitätssicherung muss weh tun." Ist wohl was dran. Zum Vortrag am Freitag von Southpark zu "Chiara Ohoven und der Mär vom arbeitenden deutschen Mann" kam ich etwas zu spät, konnte nur noch die Diskussion mitkriegen. Hätte mir glaube ich sehr gut gefallen, aber vermutlich aus anderen Gründen als viele andere Zuhörer.

Eine schöne Sache kann man auf jedenfall rausziehen: Es fängt an, dass der Diskurs zu Qualität von Inhalten und wo die Reise hingehen soll, die sinnlosen Kategorien "Inkludismus und Exkludismus" verlässt. Bei diesen ist das größte Problem, dass es keine fünf Benutzer gibt, die man sinnvoll als Exkludisten bezeichnen kann (und ja auch gar nicht klar ist, was das sein soll) und eigentlich Exkludismus mehr der notwendige "Böse" Gegenpart für Hardcore-Inkludisten ist, wobei wieder nicht ganz klar ist, was das nun sein soll. Sicher ist, dass "Löschen ist ein notwendiger Bestandteil der Qualitätssicherung in der Wikipedia." ein Satz ist, der von 90% der Wikipedianern unterschrieben werden könnte. Die Frage ist halt, was man warum aufnimmt und dies lässt sich nicht sinnvoll in den Kategorien "Löschen ist doof" bzw. "Löschen ist toll" diskutieren.

Foundation-Präsident Ting Chen musste viele Fragen zum Bildfilter beantworten;
Ziko van Dijk, CC-by-sa 3.0
Southpark hat einige Sachen schön aufgezeigt: Die Relevanzkriterien werden von zu vielen Leuten nach Kategorien der gefühlten Bedeutung angewendet und gestaltet. Das führt dann zu Argumenten, bei denen Leute sagen: "Also wenn wir diese Pornodarsteller aufnehmen, dann ist es ja wohl keine Frage, dass wir diesen Künstler, Wissenschaftler und diese Bibliothek aufnehmen müssen." Ein Wikipediaartikel ist damit eine Belohnung für gute Leistungen und wer diesen oder jenen Artikel nicht aufnehmen will ist ein Neider, der die Leistung nicht würdigen kann. Sehr berühmt auch der Verweis auf Drittligafussballer. Die englische Wikipedia macht das besser: Da gibt es das Konzept der Notability, was vollkommen ignoriert, was Wikipedianer wichtig finden, sondern nur wie es rezipiert wurde und entsprechend Sekundärquellen vorhanden sind.

Der Lackmustest sind lebende Personen. Eines der Zitate der Konferenz war "lebende Personen sind immer ein Problem". Ich weiss gar nicht von wem es stammt, aber es hätte auch von mir stammen können :-) Egal wie man zu den Themen Relevanzkriterien, Qualität, Löschen, etc. steht. An der Frage ob ein ethisch und moralisch verantwortungsvoller Umgang mit den Biographien lebender Personen herauskommt oder die Freizeitgestaltung von Wikipedianer Vorrang vor diesen hat, entscheidet sich welche Wege überhaupt gangbar sind.

Sehr interessant auch die Ausführungen von Mathias Schindler und seinem neuen Chef Jan Engelmann über die Lobbying-Aktivitäten und den Berliner Wahlkampf. Ach ja, war schön mal viele der neuen Mitarbeiter von Wikimedia Deutschland kennenzulernen.Und diverse neue und alte Vorstände.

Drei Ex-Wikimedia-Vorstände, seit Ewigkeiten nicht mehr in Gruppe gesichtet...;
Alupus, CC-by-sa 3.0

Schliesslich ist da noch die erfreuliche Sache, dass die Bemühungen der Foundation (sprich von Sue Gardner), Entscheidungen verstärkt data-driven zu treffen, Früchte tragen. Es gibt also nicht nur Ergebnisse, sondern diese werden von der Foundation genutzt. Schön daran ist, dass das auch ausserhalb der Foundation, also in der Wikipedia Früchte trägt. Deswegen (und nachdem Hoch auf einem Baum mich wegen meiner mangelnden Kenntnis der dortigen Ergebnisse kräftig gescholten hat) nochmal der Link: Wikipedia Summer of Research 2011. Lest das! Und auch die Sachen von Manuel Merz! Dafür gibts auch nen Link auf diesen zeitlosen Insiderscherz: Frank Schulenburg trifft HaeB.

Und sonst:
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