Samstag, 15. Dezember 2012

Riemann und die Habilitation

Vor einiger Zeit war ich auf einer Hochzeit eingeladen, auf der ein Mathematiker einen Cellisten heiratete. Und so sagte der Mathematiker: "Du hast mir die Schönheiten der Musik nähergebracht und ich habe versucht, Dir die Schönheiten der Mathematik näherzubringen." Ferner tat er den Anwesenden kund, dass sich eine von Riemanns Urenkelinnen unter den Gästen befände er und gerne Kontakt herstellen könne. Und so traf ich Riemanns Urenkelin. Eine wirklich nette Frau, die über ihren Urahnen bestens Bescheid wusste.

Krasse Mathematiker mit krassen Urenkelinnen
"Wen interessierts?", mögen eventuell mitlesende Biologen fragen. Wer ist denn überhaupt Riemann? Bernhard Riemann war einer der bedeutendsten Mathematiker des 19. Jahrhunderts. Obwohl er nur 40 Jahre alt wurde, lieferte er zu zahlreichen Gebieten der Mathematik bahnbrechende Beiträge. Er promovierte in Göttingen bei Gauss und ist den meisten für das Riemann-Integral bekannt, das ist das mit den Ober- und Untersummen, was in der Schule typischerweise gelehrt wird.

Unter Mathematikern ist vermutlich das bekannteste die von ihm aufgestellte Riemannsche Vermutung, die immer noch nicht bewiesen ist und eines der sieben Millenium-Probleme ist, es gibt also für den Beweis oder die Widerlegung 1 Millionen Dollar. Konkret geht es um eine vermutete Abschätzung, wie Primzahlen innerhalb der natürlichen Zahlen verteilt sind. Und da die Frage schon so lange offen ist, haben die Zahlentheoretiker mittlerweile auch schon drumrumgeforscht und die Vermutung durch schlechtere Abschätzungen ersetzt, die aber in der Praxis fast alles liefern was ein Zahlentheoretiker so braucht. Nun denn, ein weiterer Punkt sind seine Analysen nichtlinearer Riemann-Probleme, mit denen er einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis der Navier-Stokes-Gleichungen lieferte. Mein Strömungslöser besteht im wesentlichen aus unzähligen Aufrufen so genannter approximativer Riemann-Löser, die Riemann-Probleme näherungsweise lösen.

Einem theoretischen Physiker dürfte dagegen als erste die Riemannsche Geometrie in den Sinn kommen. Diese liefert eine abstrakte und gerade deswegen extrem nützliche Beschreibung gekrümmter Flächen, die es Albert Einstein erlaubte, die allgemeine Relativitätstheorie zu formulieren. Vorgestellt hat Riemann diese 1854 in seinem Habilitationsvortrag "Über die Hypothesen, welche der Geometrie zugrunde liegen". Das verlinkte Dokument ist ein Redemanuskript, wie es von ihm damals in Göttingen vorgelesen wurde, entsprechend tauchen quasi keine Formeln auf. Unter den Zuhörern war der alternde Gauss, der sich selbst mit nichteuklidischer Geometrie beschäftigt hatte, aber mit seinen Ergebnissen dazu nie recht zufrieden war und sie nicht publizierte. Er war sehr angetan und sagte nicht wie bei manch anderer Gelegenheit, das hätte er ja schon lange in seinen Tagebüchern stehen.

Mir ist nicht klar, wie die Habilitationsordnung in Göttingen damals war. Anscheinend machte Riemann drei Themenvorschläge, von denen eines ausgewählt wurde, über das er dann vorzutragen hatte. Heutzutage ist es üblich, einen wissenschaftlichen Fachvortrag zur eigenen Forschung zu halten, sowie einen Probevortrag, bei dem die Lehrfähigkeiten der Kandidatin auf die Probe gestellt werden. Denn schliesslich geht es bei der Habilitation um die Verleihung der Lehrberechtigung ("Venia Legendi"), also muss dazu etwas vorgeführt werden. Darüberhinaus soll man zeigen, dass man zügig in fremde Themen einsteigen kann. Faktisch bedeutet das, dass man vor einem breiteren Publikum einen Vortrag hält, bei dem man die Leute nicht nach zehn, sondern nach zwanzig Minuten abhängt. Zu früh, und die didaktischen Fähigkeiten werden kritisiert, zu spät, und die mathematischen Fertigkeiten sind zu gering. Das Thema wird dabei von einer Komission ausgesucht, basierend auf Vorschlägen des Kandidaten, wobei es um Themen gehen soll, die abseits des eigentlichen Forschungsgebiets.

Ich selbst musste nur einen Probevortrag halten und durfte dann statt über diskrete Markovketten oder das mathematische Werk von Augustin Louis Cauchy, das SQP-Verfahren zum Besten geben. Und damit wurde mir, eine weitere Abstimmung das Fachbereichsrats später, tatsächlich die Habilitation zuerkannt. Eingereicht hatte ich im Januar, die Prozedur, die viele Tiefen und wenig Höhen hatte, hat also insgesamt 10 Monate gedauert.

Insofern zitiere ich einfach den ehemaligen Präsidenten der deutschen Forschungsgemeinschaft, Ernst Winnacker, der in der Zeit beklagte: "Die Habilitation, letztlich ein Herrschaftsinstrument altgedienter Professoren über den Nachwuchs, gibt es immer noch."

Und sonst:

Sonntag, 8. Juli 2012

Gaming yourself

Als anständiger Nerd habe ich einen Großteil meiner Jugend mit Spielen verbracht, Fantasy-Rollenspiele, Computerspiele, vor allem aber mit Schach. Auf einer Hamburger Jugendmeisterschaft dachten sich einige Betreuer eine neue Schachvariante aus: Läufer ziehen normal, schlagen aber wie Springer, Springer ziehen normal, schlagen aber wie Läufer. Das ganze wurde als Blitzschachpartie gespielt, also mit fünf Minuten Bedenkzeit pro Spieler pro Partie, geregelt über eine Schachuhr. Sie nannten das Ergebnis "Hoppel-Poppel" und es machte unanständig viel Spaß.

Andere Betreuer rümpften die Nase, die Variante würde die Spielstärke im eigentlich Schach gefährden. Und damit sind wir bei einem interessanten Punkt. Mein Eindruck ist, dass Spielen in Deutschland als etwas kindisches wahrgenommen wird, das nicht Teil des wirklichen Lebens ist, keinen Sinn hat und in den Freizeitbereich gehört. Dazu gehört eine weitere Trennung: Arbeit und Freizeit sind unterschiedliche Welten, bei der die erste ernst ist und die andere dem Vergnügen dienen soll.

Louis Pasteur, ernst blickender Wissenschaftler mit Bart, wie man sich das vorstellt;
Nadar [Public domain], via Wikimedia Commons
Nun gibt es keinen prinzipiellen Grund, warum wichtige und relevante Dinge nicht Spaß machen sollten, Geld verdienen eine griesgrämige Angelegenheit sein sollte oder "sich Bilden" eine Assoziation zu "Staubtrocken" liefert.

Was Spielen angeht, so haben neue Unterhaltungsmedien wie leistungsstarke und billige Prozessoren und Grafikkarten (siehe dazu dieses Posting) in Kombination mit dem Internet alles revolutioniert. Es gibt für jeden Geschmack etwas und das Internet erlaubt es, sich mit Spielern seiner Spielstärke zu messen oder gemeinsam mit Freunden die eine Welt weit weg sind zu treffen. Und so sind Spiele wie World of Warcraft oder Angry Birds globale Phänomene geworden, die Teil der globalen Kultur sind. Aber, und das ist der Punkt, es gibt auch Spiele, die das Potenzial haben, die Wissenschaft zu revolutionieren.

Ein Beispiel ist Foldit. Nach einer kurzen Einführung kann man dort Proteine basteln. Klingt langweilig? Es geht darum, dass das Spiel einem ein paar Moleküle vorgibt, die man dann so dreidimensional zusammenbasteln soll, dass die Bindungsenergie minimal wird. Es gibt also keine eindeutige Lösung, es erfordert dreidimensionales Denken und der Variantenreichtum ist unendlich. Und was tut man dabei? Man hilft Biochemikern, grundlegende Fragen zum Entstehen des Lebens zu beantworten, nämlich die, welche dreidimensionalen Proteinstrukturen durch DNA codiert werden. Mal etwas übertrieben formuliert geht es um das Ziel, an einem DNA-Stück zu sehen, ob da ein Elefantenrüssel rauskommt oder ein Ellenbogen.

Es gibt also Spiele, die gleichzeitig Spaß machen und noch etwas nützliches Erledigen. Die Idee funktioniert auch andersrum: Man macht etwas nützliches, das soll aber auch noch Spaß machen. Nun ist der Mensch, noch so intelligent, gebildet und selbstbewusst, Untertan der eigenen Biologie. Unser Belohnungszentrum funktioniert sogar dann, wenn wir es bewusst anwenden. Beispielsweise ist es sowieso sinnvoll, sich zur Strukturierung der eigenen Arbeit ToDo-Listen oder Zeitpläne zu machen. Bei beidem fühlt man sich besser, wenn man Punkte auf der Liste abhaken kann, bzw. die Zeitplanung eingehalten hat. Der Trick ist nun, Punkte auf die Liste zu setzen, die man leicht abhaken kann, bzw. die Zeitplanung so zu gestalten, dass man am Tag mehr schafft als geplant war. Und oh Wunder, obwohl man sich die die Vorgaben selbst gegeben hat, ist es motivierend, sie erfüllt zu haben, im Gegensatz dazu, sich einen Zeitplan vorgegeben zu haben, den man nicht einhalten kann.

Teilweise ist dies auch das Thema dieser Vorlesung. Randy Pausch hält dort seine letzte Vorlesung, wenige Monate vor seinem Krebstod, darüber wie man seine Kindheitsträume verwirklicht. Und da dafür in der Regel gewisse Fertigkeiten notwendig sind, ist Lernen ein wesentlicher Punkt. Die Technik, etwas zu machen, was Spass macht, und dabei mehr oder weniger bewusst etwas ganz anderes wichtiges zu Lernen, nennt er "Head Fake".

Letztlich liegt dem ganzen zugrunde, das Belohnungszentrum auszunutzen. Computerspiele, beispielsweise MMORPGs wie World of Warcraft sind häufig so ausgelegt, dass die Spielerin immer wieder kleine Erfolgserlebnisse hat und dass der nächste Erfolg in Reichweite ist. Für viele sprengt das den Rahmen der Selbstdisziplin. 

Die Quizfrage ist nun: Wie bringt man die obigen Aspekte in eine Lehrveranstaltung an einer deutschen Universität ein? Und wie sieht Foldit für Numerik aus?

Und sonst:
  • Da nun das Higgs-Boson höchstwahrscheinlich entdeckt wurde, hier nochmal was es mit dem LHC auf sich hat: Der LHC-Rap. 
  • Weniger erfreulich ist dagegen dieses Video, das zum Glück von der EU wieder zurückgezogen wurde. Irgendwie auch schräg, aber um Längen besser ist das hier. Und, Thumbs up für die gute Idee, aber Abzüge in der B-Note für die mangelnde Sicherheit. 

Samstag, 5. Mai 2012

Astronomische Strömungsmechanik

Der letzte Physiknobelpreis wurde für die Entdeckung vergeben, dass sich das Weltall beschleunigt ausdehnt. Ein regelmässiger Leser dieses Blogs machte damals die abscheuliche Bemerkung, dass aber doch wenigstens das nichts mit Strömungsmechanik zu tun hätte. Man möge ihm dies verzeihen, hat er doch nur in Mäusezucht promiviert.

Nichtsdestotrotz muss ich gestehen, dass die Frage einige Berechtigung hat. Denn Strömungsmechanik beschreibt die Interaktion zwischen Molekülen auf einer makroskopischen Ebene. Dies ist deswegen möglich, weil sich in einem Kubikcentimeter Luft etwa 10^19 Moleküle aufhalten mit einer mittleren freien Weglänge von 68 Nanometern. Um uns herum ist also ständig Karambolage total und das spüren wir als Luftdruck und Wind und können einzelne Moleküle nicht wahrnehmen. Mathematisch gesehen ist die Geschwindigkeit eines Gases die Geschwindigkeit, die eine winzige Gasmenge im statistischen (!) Mittel hat. Entsprechen tauchen im Standardmodell zur Beschreibung von Gasen, nämlich den Navier-Stokes-Gleichungen, nur noch makroskopische Grössen auf. Dabei setzt diese Statistik voraus, dass Moleküle hinreichend oft miteinander interagieren, wird dies zu selten, kann man nicht mehr von einem Gas sprechen.

Im Weltall, so weiss der Volksmund, herrscht Vakuum. Und es macht auch keinen Sinn, von einem Gas und seiner Geschwindigkeit zu reden wenn es nur ein Molekül pro Kubiklichtjahr gibt. Tatsächlich ist die Dichte wesentlich höher, innerhalb des Sonnensystems sind es immerhin noch 10.000 Teilchen pro Kubikcentimeter. Das ist ein besseres Vakuum als je von Menschenhand auf der Erde erzeugt und bedeutet, dass ein Teilchen eine mittlere freie Weglänge von 11 Kilometern hat. Und damit ist es fraglich, von einem Gas zu sprechen. Also schauen wir uns mal an, wie das im All so aussieht. Die Grundlage des Videos ist dieser Fachartikel.




Da sieht ja irgendwie alles aus wie Gas. Wie kann das sein? Der Punkt ist die Zeitskala. Das Video zeigt aneinandergehängte Bilder, die das Hubble-Teleskop innerhalb von 14 Jahren aufnahm. Auf einer Zeitskala von einer Sekunde mit einer Raumskala von einem Meter ergibt sich bei den genannten Bildern keine sinnvolle Statistik und keine Beschreibung als Gas beziehungsweise über die Navier-Stokes-Gleichungen. Auf einer Zeitskala von einem Tag und einer Raumskala von einem Lichtjahr ergibt sich aber plötzlich etwas was wie ein Gas aussieht, weil die abgebildeten Moleküle schneller als der Schall unterwegs sind. Dies lässt sich dann mit den Methoden der Strömungsmechanik beschreiben, die Umskalierung von Zeit und Raum wird dabei über die so genannte Strouhal-Zahl erledigt.


Ein ähnliches Beispiel ist eine Wolkendecke, die auf einen Berggipfel trifft. In Zeitlupe sieht dies so ähnlich aus wie Meereswellen.

Und der Nobelpreis? Ein zentrales Werkzeug dabei war die Betrachtung von Typ Ia-Supernovae, auch liebevoll Standardkerzen genannt. Bei diesen sammelt ein weißer Zwerg (ein sehr heißer, aber leuchtarmer Stern) Gas aus seiner Umgebung auf, bis er aufgrund seiner Masse kollabiert. Dies führt zu einer Kernfusion mit anschließender Explosion. Bei diesen Explosionen weiß man recht genau, wie hell sie sind, aus der beobachteten Helligkeit lässt sich also auf die Entfernung schließen, daraus dann wieder auf die Rotverschiebung des Lichts und damit wiederum, dass sich das Weltall beschleunigt ausdehnt. Und dieses wiederum führte die Physiker zur dunklen Energie (nicht zu verwechseln mit dunkler Materie).

Die Quantifizierung all dieser Dinge, die mit den ganz großen Fragen zu Entstehung und Entwicklung des Universums direkt zusammenhängen, beruht zum Beispiel darauf, dass man tatsächlich weiß, wie hell eine Typ Ia-Supernova genau ist. Tatsächlich hat man nur Schätzungen, die immerhin so 15% genau sind. Und da man in diesem Fall mit Experimenten nicht weit kommt, hilft nur eins: Die Numerik. Diverse National Labs der USA (Lawrence Berkeley beispielsweise) beschäftigen sich mit solchen Sachen. Könnte man die Sachen simulieren, könnten die Physiker viel genauere Aussagen zu dunkler Energie und dem Universum treffen. Die Sache ist unglaublich komplex, insbesondere hat so eine Supernova verschiedene Phasen, in denen die Sachen auf sehr unterschiedlichen Zeitskalen ablaufen.

Ein interessanter Aspekt dabei ist, dass während einer der Phasen die Machzahl klein ist, was erklärt, warum verschiedene der Topleute zu kleinen Machzahlen am Lawrence Berkeley Lab sitzen. Ich habe die auch mal besucht, dazu muss man vorab erklären, dass man nicht mit Schurkenstaaten zusammenarbeitet.

Also: Dem Geheimnis der dunklen Energie rückt man mit ebenso dunkler numerischer Strömungsmechanik zuleibe.

Und sonst:

Sonntag, 15. April 2012

Wie schlecht sind Schweine?

Die Frage ist nach diversen Weltreligionen leicht zu beantworten: Höllisch schlecht. Aber was ist mit CO2? Dazu habe ich nun das Buch "How bad are bananas" von Mike (nicht Tim) Berners-Lee gelesen. Der Autor versucht dabei, zu verschiedenen Produkten und Aktivitäten die CO2-Äquivalenz in Emissionen zu finden. CO2-Äquivalenz (ab jetzt CO2E) bedeutet hierbei, dass auch andere Treibhausgase wie Methan oder Lachgas einbezogen werden, und zwar in Bezug auf den Effekt über 100 Jahre. Methan ist dann etwa 25 mal schlimmer und Lachgas 300 mal pro Kilo.

Er nutzt dabei zwei Methoden, und zwar zum Einen eine Input-Output-Analyse a la Leontief, bei der der Gesamt-CO2E-Ausstoss einer Wirtschaft betrachtet wird und dann auf einzelne Wirtschaftsbereiche aufgeteilt wird. Nachteil hierbei ist, dass Importe so betrachtet werden, als würde die Produktion in den anderen Ländern denselben Emissionsgrad haben. Dies lässt Importe besser aussehen als sie sind, da die Produktion beispielsweise in China immer wesentlich ineffizienter ist als im Westen.

Die andere Technik ist ein Life-Cycle-Assessment, bei der zu einem konkreten Produkt an jeder Stelle geschaut wird, wieviel Emissionen es verursacht. Das Problem hierbei sind Sekundäreffekte: Das Ausdrucken eines Bahntickets löst Verschleisserscheinungen am Drucker aus, so dass die Emissionen aus der Druckerproduktion auf das gedruckte Ticket anteilig aufgerechnet werden sollten und so weiter und so weiter. Bei dieser Technik ist es trotzdem einfacher als mit dem Input-Output-Modell, die Folgen eines Produkts abzuschätzen, dafür ist es schwieriger, die Emissionen eines ganzen Wirtschaftszweiges anzuschauen.

Die Ergebnisse sind ungenau, aber die Hoffnung ist, zumindest die richtige Grössenordnung zu kriegen und somit Antworten zu kriegen auf die Frage, was jemand, der nicht gut damit leben kann, dass der Klimawandel Kriege, Naturkatastrophen und Flüchtlingsströme auslösen wird, denn tun kann.
Geysir in Island; Rosino
[CC-BY-SA-2.0 (www.creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)],
via Wikimedia Commons
Die Ergebnisse hängen auch vom betrachteten Land ab: In Island wird Elektrizität fast ausschliesslich aus Geothermie gewonnen, da kann man also stundenlang warum duschen, ohne schlechtes Gewissen zu kriegen (nunja, solange man nicht stundenlang das Bad blockiert...).  Im Buch wird das ganze für Grossbritannien durchexerziert, für Deutschland sollte es ähnlich sein. Ebenso hängt all dies natürlichen auch von technischem Fortschritt ab.

Wenig überraschend bestätigt Berners-Lee schon vorher bekannte Ergebnisse. Erstens skaliert der westliche Lebensstil nicht weltweit und es ist dringend notwendig, dass wir unseren Lebensstil verändern und die Pro-Kopf-Emissionen um mehr als einen Faktor zwei senken. Zum Anderen reicht es nicht aus, dass sich der westliche Lebensstil verändert.

Zur Illustration würde ein Verbrennen der bekannten Öl-, Gas- und Kohlevorräte zu CO2E-Emissionen von 2.5 Billionen Tonnen führen (also das 50-fache der derzeitigen weltweiten Emissionen) und damit zum Klimakollaps. Das bedeutet, dass politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen, in denen es nicht mehr sinnvoll ist, diese Vorräte zu fördern und zu nutzen. Dasselbe gilt für Abholzung von Regenwald und die dort gespeicherten CO2-Vorräte, wobei da noch der Verlust an Photosynthese dazu kommt. Ein konkretes Beispiel ist die Yasuni-ITT-Initiative, bei der die Weltgemeinschaft über ein Treuhänder-Modell Ecuador dafür bezahlen soll, dass der Regenwald im Yasuni-Nationalpark nicht abgeholzt und dort kein Öl gefördert wird. Der Bundestag hat den Einstieg Deutschlands in diesen Fond 2009 mit parteienübergreifender Mehrheit beschlossen, aber Bundesentwicklungshilfeminister Niebel weigert sich, dies umzusetzen. Damit droht das Projekt zu scheitern und sollte das passieren, ist das ausreichend, um der FDP den Titel der klimafeindlichsten Partei Deutschlands zu geben.

Zum anderen ist die Bevölkerungsexplosion alleine beängstigend. Die CO2E-Emissionen der Menschheit werden eben durch Menschen gemacht und mehr Menschen sorgen für mehr Emissionen. Immer noch sind 40% der Schwangerschaften in Entwicklungsländern ungewollt. Und damit ist auch klar: Projekte für den Erhalt des Regenwaldes und gegen Bevölkerungswachstum (in der Regel Bildungsprogramme und solche die die Rechte von Frauen in Entwicklungsländern stärken) liefern am meisten Bang for the Buck. Im Vergleich zu Subventionen für Solarergie ist der Gewinn für den Klimaschutz pro Euro grob einen Faktor 100 besser.

Schließlich ist es so, dass bei der derzeitigen Energiegewinnung jede ökonomische Aktivität CO2E-Emissionen auslöst (mit ganz wenigen Ausnahmen). Das unterstreicht nochmal, dass sich unser Wirtschaftssystem mittelfristig ändern muss und wie wichtig die Energiewende ist. Damit wären wir beim Lebensstil: Es ist unabwendbar, dass sich der Lebensstil in den Schwellen- und Drittweltländern verbessert. Die Frage ist nun, welchen Lebensstil sich die neue Mittelklasse in den Schwellenländern als Vorbild nimmt: SUV, Steak, Latte Macchiato und Urlaub eine halbe Weltweise weit weg? Oder Smart, Gemüse, lokales Bier und der Trip ins Nachbarland?

Was kann man also nun tun und was bringts wirklich? Am wichtigsten ist es, das Fliegen einzuschränken. Fliegen wir persönlich doch, dann bitte mit möglichst wenig Gepäck. Hier lohnt es sich, jedes Gramm zu zählen. Ein Trip nach Hong-Kong und zurück löst mehr als 3 Tonnen Emissionen aus, das ist ein Fünftel der durchschnittlichen Jahresemissionen eines Deutschen und mehr als der durchschnittliche Mensch auslösen darf, wenn das 2-Grad-Ziel erreicht werden soll. Das Problem beim Fliegen ist, dass die Emissionen da getätigt werden, wos weh tut.

Ein Corollar dessen ist, dass Güter, die per Flugzeug transportiert werden, nicht gekauft werden sollten. Verschiffen ist dagegen in Ordnung. Damit sind Bananen völlig in Ordnung, aber in New York sollten man lieber französischen als kalifornischen Wein trinken, da letzterer per Flugzeug transportiert wird.

Sich selbst sollte man möglichst mit dem Fahrrad, dem öffentlichen Nahverkehr oder einem leichten Auto bewegen. Beim Fahrradfahren ist der Treibstoff das was man isst, so dass folgendes rauskommt pro Meile
  • 65g beim Fahrradfahren mit Bananentreibstoff
  • 150g beim Busfahren in einer Großstadt mit vernünftiger Auslastung
  • 150g beim Zugfahren in einem Regionalexpress
  • 200g beim Fahrradfahren mit Specktreibstoff
  • 300g im ICE (höhere Geschwindigkeit führt zu mehr Emissionen)
  • 350g im Citroen C1 bei konstanten 90 km/h
  • 700g in einem durchschnittlichen britischen Auto bei konstanten 90 km/h
  • über 2000g in einem SUV bei konstanten 90 km/h
Sprich: Ein leichtes Auto ist völlig in Ordnung und wird ziemlich unschlagbar, wenn man es mit mehreren benutzt. Kaputt gemacht wird all das, wenn man sich im Stau bewegt, dann verdreifacht das die Emissionen etwa. Das Fahrrad hat noch den Vorteil, dass es der eigenen Gesundheit hilft und auch wenns die Krankenversicherung zahlt, löst eine Krankheitsbehandlung Emissionen aus, da dann Papier gedruckt wird, Emails verschickt. etc. etc. Per Input-Output-Modell schätzt Berners-Lee die Emissionen einer Herz-Bypass-Operation auf eine Tonne.

Bei Ernährung ist ganz klar: Rinder, Schafe und Ziegen sind böse, da sie als Wiederkäuer Methan produzieren. Das gilt auch für Milch und damit bringt vegetarische Ernährung wenig, wenn man einfach statt Rindswurst (etwa 18kg CO2E pro Kilo) Käse isst. Dies trifft insbesondere auf Hartkäse zu, bei dem mehr Milch zur Produktion benötigt wird als für Weichkäse (Hartkäse etwa 12 kg CO2E pro Kilo). Geflügel- oder Schweinswurst ist also weniger schlimm als Greyerzer. Fisch übrigens auch, da ist das wesentliche Problem die Kühlung (etwa 7kg CO2E pro Kilo im Supermarkt). Insgesamt hat Fleisch aber das Problem, dass Tiere rumlaufen, warm bleiben müssen und damit nur relativ ineffizient Energie in Essen umwandeln. Um die Eingangsfrage nochmal klar zu beantworten: Gemüse > Fisch > Schwein > Rind.
Fröhliche Sommertomaten. Tomaten im Winter: Nicht fröhlich;
Civertan Grafikai Stúdió;
CC-by-SA 2.0 via Wikimedia Commons
Sprich: Mal ausprobieren wie das mit Vegan essen und kochen ist, ob einem Soja- oder Reismilch im Kaffee schmeckt und wenn man nunmal auf Fleisch nicht verzichten will, dann eben nicht mehr jeden Tag. Steak als Belohnung sehen und nicht als Alltagsessen. Bei Gemüse ist Bio aus Emissionssicht übrigens besser, da da in der Regel weniger Dünger verwendet wird, der wegen Lachgas problematisch ist. Verzichten sollte man dagegen auf Gemüse, dass in elektrisch geheizten Gewächshäusern produziert wurde. Tomaten im Sommer aus dem Gewächshaus: 400 g CO2E pro Kilo. Dieselben Tomaten im Winter aus Holland: eher in der Größenordnung von 20 kg CO2E pro Kilo, das ist mehr als Rindfleisch. Also: Saisonal Essen.

Und schließlich noch der Klassiker: Insgesamt Energie sparen durch weniger Verwendung von Licht und Heizung. Hat noch jemand nen Trockner? Gleich abschaffen. Wenn man kocht: Kochendes Wasser hat immer dieselbe Temperatur, bei Nudeln also die das ganze so weit runterregeln, dass es gerade noch kocht. Beim Duschen heißes Wasser sparen indem man die Dusche zwischendrin abstellt, bringt pro 5 Minuten sparen etwa nen halbes Kilo, pro 200 mal Duschen also 100 Kilo. Was sich ansonsten nicht lohnt, ist nur aus Energiespargründen ein energiesparendes Gerät anzuschaffen. Lieber warten, bis das alte kaputt ist.

Und falls es jemanden interessiert: Eine Suche im Web macht etwa einen Gramm aus und eine durchschnittliche Email etwa vier (bei letzterem wird angenommen dass sie auch gelesen wird, was impliziert, dass der Leser einen Computer an hat). Ein Jahr nonstop surfen verursacht etwa 5 Tonnen.

Und sonst:

Freitag, 23. März 2012

Kommentarfunktion

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Ansonsten ist der Grund, warum die letzten Monate hier nicht viel kam, dass ich in der Endproduktion meiner Habiliationsschrift war und somit das Bloggen nur bedeutet hätte, noch mehr zu schreiben. Dies ist nun vorbei und somit wird sich die Frequenz hier wieder erhöhen. Viel Spaß weiterhin!
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