Nichtsdestotrotz muss ich gestehen, dass die Frage einige Berechtigung hat. Denn Strömungsmechanik beschreibt die Interaktion zwischen Molekülen auf einer makroskopischen Ebene. Dies ist deswegen möglich, weil sich in einem Kubikcentimeter Luft etwa 10^19 Moleküle aufhalten mit einer mittleren freien Weglänge von 68 Nanometern. Um uns herum ist also ständig Karambolage total und das spüren wir als Luftdruck und Wind und können einzelne Moleküle nicht wahrnehmen. Mathematisch gesehen ist die Geschwindigkeit eines Gases die Geschwindigkeit, die eine winzige Gasmenge im statistischen (!) Mittel hat. Entsprechen tauchen im Standardmodell zur Beschreibung von Gasen, nämlich den Navier-Stokes-Gleichungen, nur noch makroskopische Grössen auf. Dabei setzt diese Statistik voraus, dass Moleküle hinreichend oft miteinander interagieren, wird dies zu selten, kann man nicht mehr von einem Gas sprechen.
Im Weltall, so weiss der Volksmund, herrscht Vakuum. Und es macht auch keinen Sinn, von einem Gas und seiner Geschwindigkeit zu reden wenn es nur ein Molekül pro Kubiklichtjahr gibt. Tatsächlich ist die Dichte wesentlich höher, innerhalb des Sonnensystems sind es immerhin noch 10.000 Teilchen pro Kubikcentimeter. Das ist ein besseres Vakuum als je von Menschenhand auf der Erde erzeugt und bedeutet, dass ein Teilchen eine mittlere freie Weglänge von 11 Kilometern hat. Und damit ist es fraglich, von einem Gas zu sprechen. Also schauen wir uns mal an, wie das im All so aussieht. Die Grundlage des Videos ist dieser Fachartikel.
Da sieht ja irgendwie alles aus wie Gas. Wie kann das sein? Der Punkt ist die Zeitskala. Das Video zeigt aneinandergehängte Bilder, die das Hubble-Teleskop innerhalb von 14 Jahren aufnahm. Auf einer Zeitskala von einer Sekunde mit einer Raumskala von einem Meter ergibt sich bei den genannten Bildern keine sinnvolle Statistik und keine Beschreibung als Gas beziehungsweise über die Navier-Stokes-Gleichungen. Auf einer Zeitskala von einem Tag und einer Raumskala von einem Lichtjahr ergibt sich aber plötzlich etwas was wie ein Gas aussieht, weil die abgebildeten Moleküle schneller als der Schall unterwegs sind. Dies lässt sich dann mit den Methoden der Strömungsmechanik beschreiben, die Umskalierung von Zeit und Raum wird dabei über die so genannte Strouhal-Zahl erledigt.
Ein ähnliches Beispiel ist eine Wolkendecke, die auf einen Berggipfel trifft. In Zeitlupe sieht dies so ähnlich aus wie Meereswellen.
Und der Nobelpreis? Ein zentrales Werkzeug dabei war die Betrachtung von Typ Ia-Supernovae, auch liebevoll Standardkerzen genannt. Bei diesen sammelt ein weißer Zwerg (ein sehr heißer, aber leuchtarmer Stern) Gas aus seiner Umgebung auf, bis er aufgrund seiner Masse kollabiert. Dies führt zu einer Kernfusion mit anschließender Explosion. Bei diesen Explosionen weiß man recht genau, wie hell sie sind, aus der beobachteten Helligkeit lässt sich also auf die Entfernung schließen, daraus dann wieder auf die Rotverschiebung des Lichts und damit wiederum, dass sich das Weltall beschleunigt ausdehnt. Und dieses wiederum führte die Physiker zur dunklen Energie (nicht zu verwechseln mit dunkler Materie).
Die Quantifizierung all dieser Dinge, die mit den ganz großen Fragen zu Entstehung und Entwicklung des Universums direkt zusammenhängen, beruht zum Beispiel darauf, dass man tatsächlich weiß, wie hell eine Typ Ia-Supernova genau ist. Tatsächlich hat man nur Schätzungen, die immerhin so 15% genau sind. Und da man in diesem Fall mit Experimenten nicht weit kommt, hilft nur eins: Die Numerik. Diverse National Labs der USA (Lawrence Berkeley beispielsweise) beschäftigen sich mit solchen Sachen. Könnte man die Sachen simulieren, könnten die Physiker viel genauere Aussagen zu dunkler Energie und dem Universum treffen. Die Sache ist unglaublich komplex, insbesondere hat so eine Supernova verschiedene Phasen, in denen die Sachen auf sehr unterschiedlichen Zeitskalen ablaufen.
Ein interessanter Aspekt dabei ist, dass während einer der Phasen die Machzahl klein ist, was erklärt, warum verschiedene der Topleute zu kleinen Machzahlen am Lawrence Berkeley Lab sitzen. Ich habe die auch mal besucht, dazu muss man vorab erklären, dass man nicht mit Schurkenstaaten zusammenarbeitet.
Also: Dem Geheimnis der dunklen Energie rückt man mit ebenso dunkler numerischer Strömungsmechanik zuleibe.
Und sonst:
- Die Flugzeuge der Zukunft?
- Nettes Blog über Astronomie und Wissenschaft: Astrodicticum Simplex von Florian Freistetter.
- Sascha Lobo hat Recht: Eulen sind die neuen Katzen.
nteressanter Artikel! Ihr wollt wohl immer dazugehören, was?
AntwortenLöschenFolgendes Bild drängt sich bei mir auf:
Physiker auf einer Party zu wunderschöner Biologin beim einem Glas Rotwein:
"Und jetzt zünde ich eine Standardkerze an (zündet eine Kerze an) und
im Widerschein der Flamme in Deinen Augen erkenne ich, das das
Universum unendlich ist!"
Mathematiker (drängelt sich dazwischen): "Und ich habs berechnet! Will
wer ein Ricola?"
Nebenbei, warum sind Spacevideos immer mit solchen nervigen Brummtönen
unterlegt. Bei SPON ist das auch so. Über Standardkerzen wollte ich
übrigens auch einmal bloggen, aber das muss ich jetzt wohl nicht mehr.
Lobo hab ich mir im Livestream angehört, schön auch sein Vortrag vom
letzten Jahr zur Trollforschung. Die re:publica hat einen festen
Programmplatz im Jahreskalender bei mir. Gibt immer super Vorträge
dort.
Keep up he good work, ich lese Deine Artikel immer total gern.
P.S.
Leider fehlt hier ja die Editierfunktion :-(
Ich habe ernsthaft ueberlegt, zur re:publica hinzufahren, aber es passte dann doch nicht. Spacevideos sollen wohl spacig sein.
LöschenWas ich mich uebrigens frage: Was kennst Du denn fuer Physiker?
Zwei Mitabiturienten haben in Göttingen promoviert. Einer davon über Mantelplumes. Der ist dann in einem Pappmachevulkan zum Gänseliesel gefahren worden.
AntwortenLöschenhttp://de.wikipedia.org/wiki/Plume_(Geologie)