Demonstration in Kairo, Ramy Raoof, CC-by 2.0 |
Insofern folgt jetzt, statt eines fundierten Beitrages zu Mathematik, munteres Dillettieren über Ägypten im Besonderen, ganz im Stile der Wikipediabeiträge zur islamischen Welt im Allgemeinen.
Ich war 2008 zur WikiMania in Ägypten, genauer gesagt kurz in Kairo und einige Tage im Zentrum von Alexandria. Die wenigen Eindrücke waren extremst wiedersprüchlich. Der große koptische Stadtteil mitten in Kairo. Junge hübsche Musliminnen in körperbetonter Kleidung, die aber die gesamte Haut bis auf das Gesicht verdeckt. An jeder großen Straßenkreuzung Polizisten in Gefechtsständen mit Maschinenpistolen, an jeder zweiten kleinen Straßenkreuzung Polizisten, sich langweilend auf Klappstühlen unterm Sonnenschirm. Der Leiter der Bibliothek von Alexandria, der in seinem Vortrag die Regierung kritisiert. Ein Esel, der an seinem Karren tot zusammenbricht. Reiche westliche Touristen.
Als ich mich danach etwas schlau machte, erfuhr ich, dass im Polizeistaat Ägypten Meinungsfreiheit herrscht, so lange man nicht Allah schmäht oder die Macht der Präsidenten selbst angreift. Es gibt also eine rege Diskussionskultur und in Kairo ist die Al-Azhar-Universität, mit einer der angesehensten islamischen Rechtsschulen der Welt, deren relativ liberale Fatwas in der islamischen Welt große Beachtung finden. Auf der Konferenz hielt die Bildungsministerin einen Vortrag, in dem sie die großen Anstrengungen der ägyptischen Regierung vorstellte, um für die extrem junge Bevölkerung Schulen bereitzustellen. Keine kriegslüsterne Regierung (mehr). Wirkte also alles nicht so wild.
Falsch gedacht. Ist halt nur alles nicht so wild, wenn man da nicht leben muss und es mit anderen schlimmeren Diktaturen vergleicht. Die Analphabetenrate ist mit um die 40% bei über 14-jährigen eine der höchsten in der in dieser Hinsicht nicht ruhmreichen arabischen Welt. Hohe Jugendarbeitslosigkeit, Korruption, riesige Kluft zwischen Arm und Reich.
Die bemerkenswerteste Meldung unter all diesen bemerkenswerten Nachrichten der letzten Tage ist für mich ganz klar die von der Abschaltung des Internets und der Handynetze. Zum Einen ist es eine extreme Reaktion, denn ein Handy haben 75%, da die Verlegung von Telephonkabeln stark zu wünschen übrig lässt. Einem Land das Telephon abzustellen, starke Nummer. So bringt man vermutlich schnell auch die moderaten Leute gegen sich auf. Zum anderen ging das ja ziemlich kurzfristig. Die Regierung muss also schon seit längerem Angst vor dem Internet haben und sich für den Notfall vorbereitet haben.
Diese Angst erinnert mich an meinen Supernerdvetter Andrew, der das Internet zwar nicht erfunden hat, aber so ähnlich und, wenn man ihn ließe, das ganze deutlich anders machen würde. Er hat das Internet meiner Großmutter als etwas dargestellt, über das alle Menschen miteinander einfach kommunizieren könnten, was dann zu Weltfrieden führt. Ich nehme an, dass er ihr nicht erklären wollte, was ein Hypertextprotokoll ist und deswegen nach etwas suchte, die sie auch verstehen und gut heißen würde. Vielleicht wäre das Protokoll besser gewesen, sie fand das ganze nämlich absurd. Aber: Irgendwo hatte er Recht. Die Formel Bildung+Wohlstand=Frieden scheint im großen und ganzen zu stimmen und das Internet hat sich als enorm wichtig für Bildung und Wohlstand herausgestellt. Nicht, dass der Grund für den Protest irgendeines Ägypters im Internet zu finden ist. Aber Diktatur und ein nicht vollzensiertes Internet wie in China oder Burma vertragen sich anscheinend nicht. Wichtige Argumente gegen eine Internetzensur, auch in Deutschland.
Als Schlusspunkt meine völlig unfundierte Zukunftsprognose: Ich denke, dass ein wesentlicher Punkt in Ägypten und Tunesien der Mangel an verwertbarem Öl ist, so dass die Entmündigung der Bürger in der Hinsicht dort nicht gegeben ist, dass die Regierungen in den ölreichen Ländern nicht auf Steuern angewiesen sind. Also kein Dominoeffekt. Passend dazu diese Nachricht aus Kuwait. Alles gute zum Jahrestag!