Immer mal wieder werde ich gefragt, was krasse Forscher eigentlich so treiben. Und zwar zunehmend. Denn die meisten Leute können sich unter einem Studium etwas vorstellen (sowas wie Schule, nur an der Uni) und Doktorand ist einfach, da macht man halt was man so tun muss, um einen Doktortitel zu kriegen. Aber was treibt jemand, der kein Professor ist und schon nen Doktortitel hat? Da fehlt den Leuten komplett das Bild, noch mehr bei einem Mathematiker. Biologen züchten Mäuse, Chemiker stehen am Bunsenbrenner, Physiker machen wichtige Experimente und Literaturwissenschaftler lesen. Nun, Mathematiker rechnen?!
Nein, natürlich nicht. Mathematiker machen Mathematik! Die Vorstellung dazu ist glaube ich jemand, der einsam in seinem Kämmerlein sitzt und denkt und mit Papier und Bleistift Formeln kritzelt.
|
Domenico Fetti: Archimedes (Denk, denk) |
Nunja, da ist schon was dran. Ein wichtiger Teil der Arbeit ist das Lesen und möglichst Verstehen von Artikeln und Büchern, was häufig ohne Paper und Bleistift nicht möglich ist. Auch das Arbeiten und Umformen mit Gleichungen (unter Mathematikern häufig Rechnen genannt), um neue Sachen herzuleiten ist wichtig und war früher sicher einer der wichtigsten Punkte. Das hat sich durch den Computer etwas geändert. Und zwar erlauben numerische Verfahren, sowie
Computer-Algebra-Systeme, einfach mal zu schauen wie die Landschaft überhaupt aussieht, ohne zu komplexen Gleichungen irgendwelche Lösungen auszurechnen. "Einfach mal" bedeutet hier konkret mehr oder weniger fluchende Stunden, Tage oder Wochen programmierend zu verbringen. Dieses ist nach der Literaturrecherche die wohl zweitwichtigste Arbeit. Trotz allem ist die heutige Situation kein Vergleich zur Zeit vor Computern (da war Rechner ein Beruf und kein Gerät und Numeriker bestanden nicht auf Grossrechnerzugang, sondern Zugriff auf eine grosse Zahl an Rechnerinnen), der Lochkartenära oder der Zeit vor Monitoren. Forschung ohne graphische Ausgabe kann ich mir kaum vorstellen.
|
Grusel: Lochkarte für eine Fortran-Zeile: Harke, CC-by-SA 3.0 |
Die Probleme die in der numerischen Mathematik heute erforscht werden, sind so komplex, dass zu einer erfolgreichen Forschergruppe mittlerweile semiprofessionelle Softwareentwicklung gehört, sprich Code muss gepflegt und gewartet werden, so dass die nächste Generation von Doktoranden nicht bei Null anfängt. Das erfordert Softwaredesign, Versionskontrollsysteme, eine Arbeitsgruppe mit der ich zusammenarbeite macht sogar
Regression Testing. All das ist durchaus ein organisatorisches Problem, da die Dauerstellen im Mittelbau im wesentlichen gestrichen wurden, Professoren für sowas keine Zeit haben und Doktoranden ja eigentlich an ihrer Doktorarbeit arbeiten sollen.
Der nächste wichtige Aspekt sind Dienstreisen. Ohne Konferenzen und den direkten Austausch mit Kollegen wird zum Einen die eigene Forschung provinzieller bzw. weniger relevant, dazu kommt aber auch ein enormer Motivationsschub weil man sehen kann, dass die meisten anderen auch nur mit Wasser kochen. Mir macht Reisen Spass und somit ist dieser Aspekt auch einer der Gründe, warum mir der Beruf so viel Spass macht. Ach ja und warum dieser Post etwas kürzer gerät, denn zur Zeit ist Schwitzen in Kalifornien angesagt. Aber es kostet enorme Zeit: An- und Abreise ist in der Regel am Wochenende, dazu kommt die Vorbereitung der Vorträge und die Organisation solcher Reisen wird einem ebenfalls nicht abgenommen.
Dann ist da das Schreiben von Artikeln, das Planen, Durchführen, Auswerten und Visualisieren von numerischen Experimenten, die Betreuung von Diplomanden und Doktoranden, in der Freizeit Lehre und das Schreiben von Gutachten für ebenjene, sowie die Peer-Reviews. Das erstmalige Erstellen einer Vorlesung kostet pro gehaltene Stunde zwischen vier und acht Stunden Arbeit.
Wenn man bei all diesen Sachen mal die Ruhe hat, mit seinem Bleistift ein paar Schmierblätter zu füllen, dann weiss man dass man was geschafft hat.
Und sonst:
- Wer ist der sozialste Arbeitgeber in den ganzen U. S. of A.? Die linken Socken von der Armee!
- Top ten, warum es toll ist, NBA-Champion zu sein. Erklärung.
- Ziemlich spektakulärer Fall von versuchter Manipulation von Wikipediaartikeln durch einen Mitarbeiter seines Projekts Wiki-Watch, das sich nach Eigendarstellung des Projekts der Forschung beispielsweise zu Manipulationen von Wikipedia widmet. Gleichzeitig bietet das ganze einen recht guten Einblick in die Welt der Entscheidungsprozesse in der Wikipedia. Und der Chef des ganzen, seines Zeichens preisgekrönter Journalist und Merkelbiograph macht munter mit.
- Druckwelle des Wandels. Interessanter Artikel von von Volker Perthes zum arabischen Frühling.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen