Sonntag, 27. Februar 2011

Guttenberg und die wissenschaftliche Qualitätskontrolle

Die politische Dimension des Skandals Guttenberg ist deprimierend. Der Nachfolger des Doktorvaters kriegt sich im bayrischen Rundfunk gar nicht mehr ein. Recht hat er.

Neben Vorwürfen an zu Guttenberg habe ich in der letzten Woche auch Kommentare gelesen, das Kontrollsystem der Universität Bayreuth hätte versagt. Auf Spiegel Online regt sich der BWL-Prof Dirk Matten ziemlich auf, wobei ich mich frage, woher er seine Erfahrungen hat. Kurz: Ich teile seine Meinung nicht. Trotz allem, in Anbetracht dessen, dass die Uni einen Doktortitel für ein dreistes Plagiat vergeben hat, ist an den Vorwürfen was dran. Deswegen möchte ich mal Promotionsverfahren und die dortigen Kontrollen etwas neuer beleuchten.

Promotionen bedeuten nicht weltweit dasselbe. Dauer der Promotion, beziehungsweise der Gesamtausbildung, Verfahren, etc. unterscheiden sich deutlich, aber nicht erheblich, als dass das wissenschaftliche System in Europa sich grob gesagt in Frankreich, Deutschland und England entwickelt hat und dann andere Länder Universitäten nach diesen Mustern gebildet haben. Der genaue Ablauf des Promotionsverfahrens ist damit nicht genormt, läuft aber immer so ab, dass eine Doktorarbeit (Dissertation) eingereicht wird, die dann begutachtet und schließlich mündlich vom Doktoranden verteidigt werden muss. Die Doktorarbeit wird dann bei Gelingen veröffentlicht.

In Holland gibt es acht Gutachter, die Zeremonie findet in Frack und Talar statt, ein Zeremonienmeister leitet die Prüfer hinein, haut mit einem Stock auf den Boden, um den Beginn der Prüfung zu signalisieren, es wird gefragt und nach genau einer Stunde haut der Zeremonienmeister wieder auf den Boden, wonach er die Prüfer hinausgeleitet und diese die Note festlegen. In Schweden gibt es vier Gutachter, wobei der Doktorvater nicht darunter sein darf. Die Doktorarbeit wird in einer öffentlichen Veranstaltung, die auch einen humorigen Anteil haben soll, von den Gutachtern auseinandergenommen.

Wiederum in Deutschland unterscheidet sich das genauer Prozedere von Universität zu Universität. An der RWTH Aachen ist die Verteidigung nichtöffentlich und der Doktorand wird nochmal explizit über Fachwissen geprüft, wie bei einer Diplomprüfung. In Kassel dauert das ganze maximal zwei Stunden, ist öffentlich und teilt sich in einen Teil, in dem der Doktorand einen Vortrag über die Arbeit hält, dann wird gefragt, Fragen aus dem Publikum sind nicht gestattet.

Wenn wir uns nochmal den konkreten Fall ins Gedächtnis rufen, so fällt zunächst auf, dass der Betrugsversuch schlussendlich nicht erfolgreich war. Ein Wissenschaftler, der über Plagiate forscht, hatte sich ohne konkreten Anlass zu Guttenbergs Doktorarbeit einmal genauer angesehen und, wenig überraschend, nach nur wenigen Stichproben Plagiate gefunden. Daraufhin hat die Alma Mater Bayreuth zu Guttenberg den Titel wieder entzogen. Anders gesagt: Die wissenschaftlichen Kontrollmechanismen haben zwar bei der Verleihung des Titels versagt, aber dann doch noch gegriffen! Sie haben nicht versagt. Warum ist das passiert? Weil die Doktorarbeit veröffentlicht werden muss und sich jeder selber ein Bild machen kann.

Der oben beschriebene letzte Schritt einer Promotion, nämlich deren Veröffentlichung, ist also ein wesentlicher Teil der wissenschaftlichen Kontrollmechanismen. Meine Arbeit kann man beispielsweise bei Shaker kaufen (etwas in der Art war in der Promotionsordnung zwingend vorgesehen) oder (was optional ist, aber meinen Interessen als Wissenschaftler dient) hier herunterladen, selbstverständlich im Vertrag mit dem Verlag als erlaubt vereinbart. Der Punkt ist: Dass Guttenberg erwischt wurde, war zwar Zufall, aber das System ist so gestrickt, dass diese Zufälle möglich sind und dadurch eine Drohkulisse aufgebaut wird.

Trotzdem ist es natürlich peinlich für den betroffenen Fachbereich, derartig gepennt zu haben. Deswegen bietet sich ein tieferer Blick in das Promotionsverfahren an. Grundsätzlich hat jeder Doktorand einen Betreuer, der später als Erstgutachter fungiert (siehe oben, nicht in Schweden). Wie der Betreuer seine Aufgabe wahrnimmt, variiert in extremer Weise von Person zu Person und von Fachgebiet zu Fachgebiet. In den Geisteswissenschaften ist es nicht ungewöhnlich, ohne Anstellung zu arbeiten, wie Guttenberg das tat. In den Ingenieurswissenschaften kommt das nicht vor, dafür werden viele Institute mehr als Ingenieurbüro betrieben, bei denen die Doktoranden an Projekten arbeiten und nach einer gewissen Zeit zwischen vier und sechs Jahren irgendwas zusammenschreiben dürfen, um den Titel zu erhalten. Entsprechend unterschiedlich ist Umfang und Qualität der Betreuung, wie auch der Doktorarbeiten.

Zu Guttenberg war nicht angestellt und auch wenn der Doktorvater von zahlreichen Betreuungsgesprächen redet, so würde ich sagen: Auf jedenfall unter zwanzig. Vielleicht eher so zehn. Wie oft soll ein Bundestagsabgeordneter und Familienvater beim Betreuer seiner nebensächlichen Doktorarbeit auftauchen?

Sprich: Der Doktorvater war mit der Arbeit nicht intim vertraut. Dasselbe gilt sowieso für den Zweitgutachter und die weiteren Mitglieder der Prüfungskomission. Letztere sind häufig von außerhalb oder von anderen Fachgebieten, um wissenschaftliche Standards aus einem anderen Blickwinkel zu begutachten.

Nun sind die kopierten Stellen in Guttenbergs Arbeit nicht aus der Standardliteratur, soweit ich das einschätzen kann. Seminararbeiten, Reden von Botschaftern, Zeitungsartikel oder Artikel des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags sind nichts, wovon ich erwarten würde, dass ein Gutachter vom Fach diese als bekannt identifizieren könnte. Darüberhinaus wurden die Stellen ja offensichtlich noch massiert, damit nicht offensichtlich wird, dass hier ein anderer Text reinkopiert wurde.

Die einzige realistische Chance, das Plagiat aufzudecken, wäre also eine stichprobenartige Internetsuche gewesen. Und hier ist die wesentliche Kritik anzusetzen, denn diese ist nicht Standard, schon gar nicht bei Juraprofessoren kurz vor der Emeritierung. Verstehen kann ich den Mann absolut, denn schon normalerweise würde ich keinen Betrugsversuch erwaten. Und dann ist der Kandidat Bundestagsabgeordneter, also ein Politiker und damit jemand dessen Laufbahn vom eigenen Ruf abhängt. Nein, ich würde so etwas dämliches nicht erwarten.

Schließlich gibt es noch eine Sache, die man im Hinterkopf behalten sollte: Wenn ein Plagiat aufgedeckt wurde, kommt es zu gruppendynamischen Prozessen. Ich kenne einen Fall, bei dem 30 Seiten ungekennzeichnet in einer Doktorarbeit abgeschrieben wurden. Nur saß der Autor in der Komission, dumm gelaufen. Der Betreuer sah darin aber kein massives Problem. Die Frage ist nun, wieviel Ärger man nun in einem solchen Fall machen will. Der Titel wurde vergeben.

Alles in allem denke ich, dass das System vernünftig ist. Der Fall wird aber hoffentlich dazu dienen, dass nichtbetroffene Dritte rückwirkend und in Zukunft vermehrt nach Plagiaten suchen, was den Druck auf Doktoranden, nicht zu betrügen, erhöht. Danke Gutti!

Vorschlagen würde ich zwei Dinge: Die Prüfungsämter der Universitäten sollten stichprobenartig nach Plagiaten in Dissertationen suchen. Ferner sollte die enge Verbindung zwischen Betreuer und Kandidatin verringert werden. Die schwedische Lösung gefällt mir dabei, dass die Komission nur aus Unbeteiligten besteht. Das löst gleichzeitig auch noch ganz andere Probleme.

Ansonsten:
  • Da wo ich wohne, würden die drei kleinen Schweinchen nicht Schutz suchen. Dies ist deswegen relevant, weil gerade ein arktischer Sturm vorbeigeschaut hat. Es ist also um die Null Grad und das wo ich quasi im Freien campe. Zum Glück bin ich nun außer Haus, habe allerdings kurzfristig die Reisepläne geändert: Es fand sich kein schwacher und langsamer Doktorand, der mit mir für den Trip über die Sierras eine Donner-Party veranstaltet hätte, also Fliegen, nur um zu sehen, dass das mit dem Schnee übertrieben war.
  • Nach dem Tod dreier Deutscher Soldaten durch ein Mitglied der Afghan National Army erscheinen diese beiden Videos in einem neuen Licht. Danke an Tarvo für den Hinweis. 
  • Schuhe bei einer Anti-Guttenberg-Demo in Anlehnung an Proteste in der arabischen Welt, bei der Demonstranten ihr Leben im Kampf gegen Diktaturen riskieren? Oberpeinlich. Ist aber Peinlichkeit international!

Dienstag, 22. Februar 2011

Schlimmer gehts immer

Meine Meinung zu Guttenberg hat Michael Spreng gut zusammengefasst: Wer in der Einleitung fremde Texte übernimmt und das ganze so formuliert, als wären es die eigenen Gedanken, der hat das mit dem wissenschaftlichen Arbeiten nicht verstanden, um es freundlich zu formulieren. Nicht, dass ich vorher von dem Mann wirklich begeistert war, aber für jemanden, über den Der Spiegel bereits titelte "Paarlauf ins Kanzleramt", ist das schon ein Hammer. Und, um mal in infamer Weise zu pauschalisieren: Die deutschen Politiker sind irgendwie nicht so prall.

Also Zeit, einen Blick auf amerikanische Politiker zu werfen. Obama im Fernsehen beim Reden zu sehen, löst bei mir immer ungeahnte devote Reflexe aus, fast möchte ich mich wie ein Hund auf den Rücken legen und "Regier mich!" winseln. Das Charisma dieses Mannes ist unfassbar und auch wenn er nicht der linke Heilsbringer ist, den manche sich erhofft haben, so ist seine Bilanz sehr stark. Aber noch nicht mal die Rettung der amerikanischen Autobauer mit 60 Milliarden Dollar in Darlehen, bei denen der Staat am Ende mit Gewinn rausgekommen ist, hat verhindern können, dass seine Partei bei den Midtermelections 2010 die Mehrheit im Repräsentantenhaus in einem Erdrutschsieg der Republikaner verloren hat und im Senat nur knapp verteidigen konnte.

Diese neue Generation von Abgeordneten ist nun seit einigen Wochen im Amt. Viele davon sind aus der Tea Party, keine eigene Partei, sondern eine Strömung innerhalb der Republikaner. Clever benannt nach der Boston Tea Party, einer berühmten politischen Aktion 1773 gegen die britischen Kolonialherren, besteht die Tea Party im wesentlichen aus weißen Leuten über 40, die plötzlich merken, dass das Land, in dem sie geglaubt haben, aufgewachsen zu sein, gar nicht existiert. Guckempfehlung: New Left Media, der Typ ist wirklich unglaublich. Stellt einfach Fragen.

Eine der Galeonsfiguren ist Sarah Palin, die Frau von der die Berater des Präsidentschaftskandidaten John McCain völlig schockiert waren, weil sie keine Ahnung von nichts hatte. Christlicher Fundamentalismus spielt auch eine große Rolle. Die Forderungen dieser Leute sind vielerlei, die Hauptforderung ist die nach weniger Staat, weniger Staatsausgaben. Egal, was es koste. Die Reform der Krankenversicherung (in gehässigem Tonfall Obamacare genannt) muss rückgängig gemacht werden. Abtreibung ist schlecht. Schwulenehe ist schlecht. Globale Erwärmung ist eine Verschwörung. Ölbohrungen sind per se gut. Illegale, kriminelle und kranke Ausländer sind schlecht. Und, die Verfassung muss wieder beachtet werden.

Bei den letzten beiden Punkten geht es vor allem um eins: Rassismus. Die Ähnlichkeit zu Slogans der NPD ist nicht zufällig. Illegale Einwanderer nehmen anderen die Jobs weg, liegen auf der Tasche, und fahren, man höre und staune, hochschwanger in die USA, um dort ihre Kinder zu kriegen, damit die dann die US-Staatsbürgerschaft erhalten. Was inhaltlich völliger Unsinn ist. Aber die Verfassung, die kann doch nicht rassistisch sein? Ist sie auch nicht. Dahinter steckt zum Einen der Unmut gegen die Krankenversicherungsreform, die angeblich verfassungswiedrig ist, zum anderen aber das mit dem Präsidenten. Schwarzenegger kann nicht Präsident werden, weil er nicht in den USA geboren wurde. Wie kann es dann sein, dass Obama Präsident wurde? Offensichtlicher Betrug, denn er hat ja seine Geburtsurkunde gefälscht. Diesen Schwachsinn glauben 50% der Wähler der Republikaner. Obama ist übrigens auch Moslem. Und kein guter Amerikaner, weil er nämlich angeblich nicht dem American Exceptionalism anhängt, also der Meinung, dass die USA einfach besser sind als der Rest der Welt. Was hat er gemacht? Er hat bei einem Besuch in Europa gesagt, dass er sich vorstellen könnte, dass die Griechen Griechenland besser finden als die USA und die Briten Großbrittanien besser finden als die USA. Was für die einen gute Manieren sind, ist für die amerikanische Rechte ein Skandal! Das hätte Bush so nie gesagt, pah!

Diese Spinner sind nun also nennenswert im "House". Und sie treiben den Rest des Establishments der Republikaner vor sich her nach Rechts. Klingt nicht so schlimm? Wir reden über die Partei von George W. Bush, die in dessen Amtszeit zwei Kriege, darunter einen völkerrechtswiedrigen angefangen hat, Deregulierung weitergetrieben und die Finanzkrise ausgelöst hat, Gefangene foltern und den START-Vertrag mit den Russen über die Kontrolle nuklearer Waffen auslaufen ließ, Umweltschutz- und Wissenschaftsfeindlich war, das Guantanamo-Lager errichtet hat, insgesamt eine Bande von korrupten Heuchlern. 

Die Forderung nach weniger Staatsausgaben ist derzeit brandaktuell: Die USA müssen neue Schulden aufnehmen, um ihre Rechnungen zu bezahlen, was erstmal nichts ungewöhnliches ist, allerdings bestimmen die beiden Kammern des Parlaments die maximale Kreditaufnahme. Diese ist nun erreicht und so müssen diese bis Ende März eine erhöhte Kreditaufnahme genehmigen, so die USA nicht in ernsten Schwierigkeiten stecken sollen. Im wesentlichen eine Formalie, aber das wird natürlich benutzt, um über den Haushalt zu debattieren. Obama, als jemand verschrien, der das Geld wie ein betrunkener Matrose auf Landgang ausgibt, will über die nächsten zehn Jahre 1 Billion Dollar sparen. Dabei schlägt er sowohl Streichungen bei der heiligen Kuh des Militärbudgets vor, als auch bei Programmen zur Linderung von Armut. Insgesamt wirklich harter Tobak. Die Einsparungen bedeuten im wesentlichen, dass die Neuaufnahme von Schulden gedeckelt würde. Das wiederum ist den Republikanern zu wenig, sie wollen Schulden abbauen, und Obama ist überhaupt Schuld, weil George W. Bush die Schulden in schwindelerregende Höhen getrieben hat. Klingt blöd, ist es auch. Bemerkenswert bei der ganzen Sache ist, dass Steuererhöhungen in der Diskussion keine Rolle spielen, es geht nur um die Frage, wo man spart und wieviel.

Die Jungs und Mädels von der Tea Party gefallen sich also derzeit mit den anderen Republikanern darin und haben am Freitag eine erste Tranche von Einsparungen von 60 Millarden Dollar verabschiedet. Ein Vorschlag, der im Senat nicht angenommen wird und wenn doch, einem Veto des Präsidenten erliegen wird. Dabei gehen sie mit dem Holzhammer vor, also es wird gekürzt, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Naja, bis auf das Militärbudget. Bekämen sie ihren Willen, wären zehntausende Jobs in Gefahr, wenns schlecht läuft, würden die USA in eine erneute Rezession gehen. Sagt zumindest Paul Krugman.

Insofern: Gutti hat quasi zugegeben, geschwindelt zu haben. Also alles supi in deutsche Land!

 Ansonsten:

Montag, 14. Februar 2011

Mathematik, das Universum und der ganze Rest

Diese Woche hatte ich die Gelegenheit, Vorträgen von Vint Cerf, einem der Väter des Internets, sowie von Shing-Tung Yau, seines Zeichens Beisitzer einer Fields-Medaille, also so etwas wie ein Mathematiknobelpreisträger, zuzuhören.

Das Timing für den Vortrag von Vint Cerf war insofern lustig, als dass ein paar Tage vorher die letzten 32-Bit-IP-Adressen vergeben worden waren. Die Entscheidung, das Internet mit 32-Bit-Adressen zu starten, ging im wesentlichen auf ihn zurück, wie er erklärte: "Ich dachte mir, lass uns einfach mal das erste Experiment mit 32-Bit machen. Wenns dann richtig losgeht, machen wirs richtig." Größeres Gelächter im Saal. Interessant fand ich, dass verschiedene Aspekte der Offenheit des Internets darauf zurückgehen, dass es ein militärisches Projekt war. So war etwa klar, dass nationale IP-Adressen im Falle einer US-Invasion in einem anderen Land nicht besonders praktisch gewesen wären.

Auch spannend war, dass mobiles Internet über Radio von Anfang an mit dabei war. Nur, die Idee, dass jemand Computer mit sich rumtragen würde, die dann zwischendrin ihre IP-Adresse wechseln würden, hatte keiner. Interessant auch der Sicherheitsaspekt, den er als einen der großen Herausforderungen des aktuellen Internets sah. Public Key Kryptography war damals zwar bereits konzipiert worden, eine Implementierung fehlte aber, weswegen das Internet gestartet wurde, ohne das dies ein integraler Bestandteil war. Bzw. er selbst kannte aufgrund von Beratertätigkeiten für die NSA praktikable bereits implementierte Verschlüsselungstechniken, dürfte diese jedoch nicht weitererzählen.

Shing-Tung Yau wiederum ist berühmt für seine Arbeiten zur Mathematik der allgemeinen Relativitätstheorie. Konkret hat er durch Konstruktion der so genannten Calabi-Yau-Mannigfaltigkeiten die Calabi-Vermutung beweisen können. Diese Mannigfaltigkeiten sind einfach gesprochen komplizierte Flächen, die es erlauben, Lösungen der einsteinschen Feldgleichungen zu konstruieren, bei denen man Gravitation hat, aber keine Masse (eben die Calabi-Vermutung, dass solche Lösungen existieren). Die Existenz solcher Lösungen gibt der Stringtheorie Nährboden, bei der man davon ausgeht, dass neben den vier sichtbaren Dimensionen (drei im Raum, eine in der Zeit), weitere existieren (typischerweise sechs), die "aufgerollte" Calabi-Yau-Mannigfaltigkeiten sind, die deswegen nicht sichtbar sind. Der Punkt dabei ist, dass sich Naturgesetze in dieser Theorie aus der Geometrie der Extradimensionen ergeben, was in der Folge erklären würde, warum die Naturgesetze so sind wie sie sind und auch die berühmte GUT liefern würde, mit der man allgemeine Relativitätstheorie und Quantenmechanik unter einen Hut bringen könnte.

Klingt alles also erstmal super, nur sind bis heute sind viele mathematische und physikalische Fragen unklar. Beipielsweise ist unbekannt, ob es unendlich viele Calabi-Yaus gibt, was damit die Suche nach der konkreten Calabi-Yau, mit der unser Universum beschrieben wird, schwierig gestaltet. Insbesondere gibt es bisher kein Experiment, mit dem die Stringtheorie bestätigt werden könnte und mit bestehenden Messmethoden sieht es ziemlich mau aus. Aber wie Yau sagte: "Beautiful mathematics". Was mich dazu verleiten könnte, mal meine Meinung zur reinen Mathematik zu sagen, aber statt dessen möchte ich zum eigentlichen Thema kommen. Was ist das eigentlich mit der Mathematik und der Welt?

Manche Physiker sagen: "Warum ist Mathematik so verblüffend gut geeignet, Physik zu beschreiben? Sollte uns das nicht irgendetwas über die Welt sagen?"

Ich beschäftige mich seit mittlerweile über zehn Jahren mit der Simulation von Luftströmungen. Grundlage all dessen sind die Navier-Stokes-Gleichungen, die in einer der größten naturwissenschaftlichen Leistungen des 19. Jahrhunderts von einer längeren Reihe von berühmten Physikern und Mathematikern gefunden und dann vernünftig hergeleitet wurden. Vernünftig heißt hier, dass die Sache an einer Stelle immer noch unbefriedigend ist. Die Gleichungen sind also seit 150, 200 Jahren bekannt. Ich schreibe jetzt meine Habilitation über bestimmte Aspekte der numerischen Behandlung dieser Gleichungen. Das Clay-Institut hat vor zehn Jahren 1 Million Dollar für einen Beweis der Existenz und Eindeutigkeit differenzierbarer Lösungen der Gleichungen in drei Dimensionen ausgelobt. Die Forschung zu diesen Gleichungen ist breit, es gibt unzählige offene Fragen und alles deutet darauf hin, dass es noch mindestens die nächsten 50 Jahre genug zu tun gibt. Laplace hat das ganze mal sehr gut auf den Punkt gebracht: "Die Natur lacht über die Schwierigkeiten der Integration."

Die von mir genannte Forschung wird im wesentlichen von Maschinenbauern und Mathematikern betrieben. Physiker beschäftigen sich seit längerem mit anderem. Man könnte meinen: Mit dem Aufstellen der Gleichungen sei das Problem gelöst. Und, sobald man sich nicht mit der Frage, wie denn nun eigentlich Lösungen der Gleichungen aussehen, auseinandersetzen muss, sieht das ganze auch bestimmt schön aus. Nur: Für die Navier-Stokes-Gleichungen ist eine Lösungsformel extrem unwahrscheinlich und es ist wie gesagt noch unklar, was für Eigenschaften die Lösungen denn nun genau haben. Es bleibt also die Frage, wie man effizient gute Näherungslösungen der Gleichungen liefern kann. Oder noch anders gesagt dass Problem, dass eine mathematische Beschreibung von Naturgesetzen nicht bedeutet, dass man plötzlich eine einfache Handhabe hätte.

Wenn Mathematik also so gut geeignet ist, Naturgesetze zu beschreiben, dann sagt das meiner Meinung nach mehr über die Naturgesetze aus, die aufgestellt werden. Denn: Mathematik ist menschengemacht. Schon so etwas einfaches wie die natürlichen Zahlen (1, 2, 3, ...) ist sehr abstrakt. Wenn ich drei Äpfel betrachte, wird jeder dieser Äpfel einzigartig und verschieden von den anderen sein. Für die meisten Umstände wird aber die Beschreibung "3 Äpfel" völlig ausreichend sein. Kinder begreifen das Zahlkonzept sehr früh. Dies gilt nicht für beliebige mathematische Konzepte. Während sich Kinder viele abstrakte Denkweisen im Laufe der Zeit ohne größere Probleme aneignen (Volumina, Addieren und Substrahieren, ...) erfordert ein Großteil der Mathematik oberhalb der Grundschule echte Anstrengung. Oder, wie es ein Kollege von mir mal treffend formulierte: "Math hurts your brain." Recht hat er.

Die Evolution hat uns also gewisse mathematische Grundkenntnisse mitgeliefert wie Zählen oder etwas Geometrie. Die meisten Sachen scheinen aber nicht dazu zu gehören, egal ob ich nun von partiellen Differentialgleichungen oder algebraischer Geometrie rede. Genauer gesagt gibt es Forscher, die sagen, dass das Denken in Wahrscheinlichkeiten dem menschlichen Gehirn schwerfällt und verweisen insbesondere auf bedingte und relative Wahrscheinlichkeiten (Beispiel).

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich denke dass Mathematik die beste Sprache zur Beschreibung naturwissenschaftlicher Phänomene ist, die uns zur Verfügung steht. Und die Bedeutung wird im Laufe der nächsten Jahrhunderts nur steigen. Aber die eigentliche Frage ist doch: Welches Wissen über unser Universum ist der Mensch überhaupt in der Lage, zu formulieren und zu verstehen? Und wie weit hilft einem Mathematik auf diesem Weg?

Ansonsten:

Sonntag, 6. Februar 2011

Von den USA nichts lernen heißt, die eigenen Unis zu verhunzen

Mein Team hat den Superbowl gewonnen (zwei Minuten nach Anpfiff habe ich mich auf die Green Bay Packers in den grünen Trickots festgelegt, was sonst) und es ist warm in Kalifornien, vor dem Ingenieursgebäude sonnen sich Studentinnen (können nicht meine sein, wenn die so viel Muße haben). Zeit sich wieder ernsteren Themen zuzuwenden. Und ich dachte mir, ich werfe mal einen Blick auf das amerikanische Bildungssystem. Wie leider weniger Leute wissen, als der Bedeutung des Umstandes angemessen wäre, sind deutsche Universitäten derzeit und in den letzten zehn Jahren einem Umbruch unterworfen, der in seinem Umfang historisch wenige Vergleiche kennt. Bachelor/Master- ersetzen die alten Diplomstudiengänge. Die Besoldung der Professoren wurde auf die leistungsbezogenen W-Professuren umgestellt. Die Exzellenzinitiative zielt darauf ab, eine Trennung in Lehr- und Forschungsuniversitäten einzuführen.

Vorbild vieler dieser Reformschritte sind immer wieder die USA. Grund ist, dass jedes internationale Hochschulranking (Beispiel) immer wieder dasselbe zeigt: Die USA haben die besten Unis. Cambridge und Oxford melden sich ab und an in den TOP 10, im wesentlichen aber dominieren amerikanische (Privat-)Unis die TOP 50. Alle meine Erfahrungen bestätigen das: Forscher aus der Weltspitze gibt es auch in Deutschland oder Tschechien, und zwar nicht wenige. Aber eine Konzentration wie in den USA wird über mehrere Fachbereiche hinweg nirgendswo erreicht.

Entsprechend findet sich zu allen Reformvorhaben ein Vorbild in den USA. Bachelor/Master ist hier eben das, die Juniorprofessur ist der Assistant Professor, die leistungsbezogene Mittelvergabe an Professoren gibt es auch und die Exzellenzinitiative soll Eliteunis erzeugen. Reine Forschungsunis gibts hier zwar nicht, aber Lehrunis, das sind die Football-Klitschen in Kansas City und anderen Metropolen von denen noch nie jemand gehört hat. 

Also alles Topcheckerbunnies, die deutschen Bildungspolitiker? Mich persönlich hat das ja schon immer gewundert, dass ich auch nach fünfzehn Jahren an verschiedensten Unis verschiedener Länder immer noch nicht mühelos erkennen kann, ob ein anderer Mathematiker gute Forschung macht. Für Bildungspolitiker kein Problem. Die sind eben einfach gut.

Schauen wir uns also mal die USA an. Zunächst einmal gibt es die Undergraduate Studies, das ist alles bis zum ersten Abschluss, dem Bachelor. Die lasse ich jetzt mal weg und konzentriere mich auf die weiteren Teile, die graduate Studies. Nach dem Bachelor machen die Leute weiter, die eine forschungsorientierte Ausbildung suchen, typischerweise den PhD, also den amerikanischen Doktor. Der Masterabschluss fällt dabei zwischendrin ab und ist eher so etwas wie ein Notausgang. Die internationale Reputation der Unis wird im wesentlichen aus diesen Programmen generiert. Die Teilnehmer bewerben sich dort, weil der Ruf gut ist, die Uni sucht sich die besten aus, wer zahlen kann, zahlt gutes Geld, wer nicht, wird versorgt. Sie werden dann von Topleuten an die Forschung herangeführt, machen die Forschung, die sich dann im Ranking niederschlängt und so weiter.

Als ich einen HiWi für meine Vorlesung suchte, bewarben sich drei Leute. Ein Chinese, ein Inder und ein Iraner. Die Professoren mit denen ich hier viel Kontakt habe kommen aus England, Neuseeland und den Niederlanden. Jahuch? Keine Amerikaner? Nein, auf dem Campus sieht man grob ein Dritter Chinesen, ein Drittel Inder, ein Drittel Rest. Unter diesem Rest sind vor allem Amerikaner, aber ansonsten ein bunte Mischung (viele Deutsche übrigens, aus den Zeiten von vor Bachelor/Master). Sprich: Die wohlhabenden Eltern von Kindern aus aller Welt finanzieren diesen die Ausbildung an einer amerikanischen Eliteuni, wo sie dann von Professoren aus aller Herren Länder ausgebildet werden. Sicher liegt das auch daran, dass Stanford ein Mekka der Ingenieurswissenschaften ist und derartige Berufe in Schwellenländern sehr gut angesehen sind. Wesentlich anders sieht es aber in Harvard oder Yale nicht aus. Sprich: Der berechtigte exzellente Ruf amerikanischer Unis wäre ohne Ausländer nicht exzellent.

Was sind denn nun eigentlich die Faktoren, die eine amerikanische Eliteuni so erfolgreich machen? Es fängt mit dem Ruf an. Der gute Ruf zieht gute Studenten an. Mit guten Studenten kann man gute Forschung machen. Am Besten trifft man eine Auswahl, welche Studenten man zulässt, dann muss man sich nicht mit den schlechten Studis rumschlagen. Das alles verbessert den Ruf. Damit man diesen Kreislauf aufrecht erhalten kann, braucht man gute Professoren. Wie kriegt man die? Richtig, mit gutem Ruf, aber vor allem mit Geld. Das bedeutet: gutes Gehalt, gute Arbeitsbedingungen, wenig Bürokratiemist. Gute Arbeitsbedingungen bedeutet ein großes Bibliotheksbudget, Reisemittel, Labore, etc. Also: Viel Geld.

Vergleicht man das mit Deutschland, muss man aufpassen, was man vergleicht. Die Uni Kassel ist nämlich besser als jede Football-Klitsche hier, aber eben schlechter als jede Elite-Uni. Im Vergleich zu diesen stellt man fest, dass der Ruf deutscher Universitäten nicht schlecht ist. Nur, die Unis sind nicht international aufgestellt, genauso wenig wie sich die Ausländerämter als Orte begreifen, bei denen es darum geht, die Zuwanderung dringend benötigter kluger Köpfe aus dem Ausland nach Deutschland zu regeln. Inder, Chinesen an deutschen Unis? Eine winzige Minderheit. Kampf um die besten Talente der Welt? Ja neh, ist klar.

Wie siehts mit dem Geld aus? Yale, arg gebeutelt von der Finanzkrise, muss sein Budget für 2011 um 150 Millionen Dollar kürzen. Aber von welchem Niveau? In den letzten zehn Jahren haben sie etwa 3 Milliarden Dollar in Infrastruktur investiert. Das Jahresbudget selber bewegt sich etwas darunter. Kassel als mittelgroße Uni hat ein Budget von deutlich unter 200 Millionen Euro. Yale kürzt also derzeit mal eben die Uni Kassel weg. Die deutschen Unis sind kaputt gespart, Dauerstellen im Mittelbau gibt es quasi nicht mehr. Die Gehälter deutscher Professoren sind im Vergleich geringer. Deutsche Professoren müssen einen Großteil der Verwaltung selbst machen. Sekretärinnen müssen, um hilfreich zu sein, komplexe Büroabläufe koordinieren. In Deutschland werden sie bezahlt, als ob Schreibmaschinen tippen die einzig notwendig Qualifikation sei und sind entsprechend nur im Glücksfall gut. An einer US-Eliteuni ....

Also schauen wir uns mal an, welche dieser Unterschiede durch die USA-orientierten Reformen angegangen wurden. Die starke internationale Marke Diplom wurde abgeschafft und durch Titel ersetzt, die nirgendwo irgendwen vom Hocker hauen. Das lockt sicher mehr kluge Köpfe nach Deutschland. Die neue leistungsbezogene W-Besoldung für Professoren ist faktisch die einzige mir bekannte Gehaltskürzung im öffentlichen Dienst mit einem Grundgehalt unterhalb das Niveaus von Gymnasiallehrern. Das wird sicher dafür sorgen, dass mehr kompetente Leute diesen Beruf ergreifen wollen. Die Juniorprofessur ist hier in der Regel ohne Tenur Track, also ohne Aussicht auf Dauerstelle, was die guten Leute in den USA mit einem müden Lächeln ablehnen. Die Exzellenzinitiative. Die interessierten Unis wurden für die Jagd nach etwa 100 Millionen (Peanuts in Yale) für ein paar Monate lahm gelegt, und zwar mit, genau, Bürokratie.

Mit falschen Rezepten wird hier also in meinen Augen massiver Schaden angerichtet. Das ist nun einfach gesagt, denn das wesentliche Element der Lösung, nämlich das Geld, liegt ja nicht auf der Straße. Es wäre aber zum einen möglich gewesen, die Situation nicht zu verschlimmern, wie etwa durch die W-Besoldung oder Bachelor/Master. Zum anderen ist eine Reform des Ausländerrecht auch so möglich. Und schließlich ist es ja nicht so, dass es neben dicken Brocken wie der Föderalismusreform keine Rezepte gäbe, die finanzielle Situation der Hochschulen zu verbessern. Warum nicht das Alumniwesen in Deutschland unterstützen und es einfacher machen, einer deutschen Universität etwas zurückzugeben?

Nun denn, genug gejammert, zur Belohnung für bis hier durchhalten ein paar Schnipsel:

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