Neben Vorwürfen an zu Guttenberg habe ich in der letzten Woche auch Kommentare gelesen, das Kontrollsystem der Universität Bayreuth hätte versagt. Auf Spiegel Online regt sich der BWL-Prof Dirk Matten ziemlich auf, wobei ich mich frage, woher er seine Erfahrungen hat. Kurz: Ich teile seine Meinung nicht. Trotz allem, in Anbetracht dessen, dass die Uni einen Doktortitel für ein dreistes Plagiat vergeben hat, ist an den Vorwürfen was dran. Deswegen möchte ich mal Promotionsverfahren und die dortigen Kontrollen etwas neuer beleuchten.
Promotionen bedeuten nicht weltweit dasselbe. Dauer der Promotion, beziehungsweise der Gesamtausbildung, Verfahren, etc. unterscheiden sich deutlich, aber nicht erheblich, als dass das wissenschaftliche System in Europa sich grob gesagt in Frankreich, Deutschland und England entwickelt hat und dann andere Länder Universitäten nach diesen Mustern gebildet haben. Der genaue Ablauf des Promotionsverfahrens ist damit nicht genormt, läuft aber immer so ab, dass eine Doktorarbeit (Dissertation) eingereicht wird, die dann begutachtet und schließlich mündlich vom Doktoranden verteidigt werden muss. Die Doktorarbeit wird dann bei Gelingen veröffentlicht.
In Holland gibt es acht Gutachter, die Zeremonie findet in Frack und Talar statt, ein Zeremonienmeister leitet die Prüfer hinein, haut mit einem Stock auf den Boden, um den Beginn der Prüfung zu signalisieren, es wird gefragt und nach genau einer Stunde haut der Zeremonienmeister wieder auf den Boden, wonach er die Prüfer hinausgeleitet und diese die Note festlegen. In Schweden gibt es vier Gutachter, wobei der Doktorvater nicht darunter sein darf. Die Doktorarbeit wird in einer öffentlichen Veranstaltung, die auch einen humorigen Anteil haben soll, von den Gutachtern auseinandergenommen.
Wiederum in Deutschland unterscheidet sich das genauer Prozedere von Universität zu Universität. An der RWTH Aachen ist die Verteidigung nichtöffentlich und der Doktorand wird nochmal explizit über Fachwissen geprüft, wie bei einer Diplomprüfung. In Kassel dauert das ganze maximal zwei Stunden, ist öffentlich und teilt sich in einen Teil, in dem der Doktorand einen Vortrag über die Arbeit hält, dann wird gefragt, Fragen aus dem Publikum sind nicht gestattet.
Wenn wir uns nochmal den konkreten Fall ins Gedächtnis rufen, so fällt zunächst auf, dass der Betrugsversuch schlussendlich nicht erfolgreich war. Ein Wissenschaftler, der über Plagiate forscht, hatte sich ohne konkreten Anlass zu Guttenbergs Doktorarbeit einmal genauer angesehen und, wenig überraschend, nach nur wenigen Stichproben Plagiate gefunden. Daraufhin hat die Alma Mater Bayreuth zu Guttenberg den Titel wieder entzogen. Anders gesagt: Die wissenschaftlichen Kontrollmechanismen haben zwar bei der Verleihung des Titels versagt, aber dann doch noch gegriffen! Sie haben nicht versagt. Warum ist das passiert? Weil die Doktorarbeit veröffentlicht werden muss und sich jeder selber ein Bild machen kann.
Der oben beschriebene letzte Schritt einer Promotion, nämlich deren Veröffentlichung, ist also ein wesentlicher Teil der wissenschaftlichen Kontrollmechanismen. Meine Arbeit kann man beispielsweise bei Shaker kaufen (etwas in der Art war in der Promotionsordnung zwingend vorgesehen) oder (was optional ist, aber meinen Interessen als Wissenschaftler dient) hier herunterladen, selbstverständlich im Vertrag mit dem Verlag als erlaubt vereinbart. Der Punkt ist: Dass Guttenberg erwischt wurde, war zwar Zufall, aber das System ist so gestrickt, dass diese Zufälle möglich sind und dadurch eine Drohkulisse aufgebaut wird.
Trotzdem ist es natürlich peinlich für den betroffenen Fachbereich, derartig gepennt zu haben. Deswegen bietet sich ein tieferer Blick in das Promotionsverfahren an. Grundsätzlich hat jeder Doktorand einen Betreuer, der später als Erstgutachter fungiert (siehe oben, nicht in Schweden). Wie der Betreuer seine Aufgabe wahrnimmt, variiert in extremer Weise von Person zu Person und von Fachgebiet zu Fachgebiet. In den Geisteswissenschaften ist es nicht ungewöhnlich, ohne Anstellung zu arbeiten, wie Guttenberg das tat. In den Ingenieurswissenschaften kommt das nicht vor, dafür werden viele Institute mehr als Ingenieurbüro betrieben, bei denen die Doktoranden an Projekten arbeiten und nach einer gewissen Zeit zwischen vier und sechs Jahren irgendwas zusammenschreiben dürfen, um den Titel zu erhalten. Entsprechend unterschiedlich ist Umfang und Qualität der Betreuung, wie auch der Doktorarbeiten.
Zu Guttenberg war nicht angestellt und auch wenn der Doktorvater von zahlreichen Betreuungsgesprächen redet, so würde ich sagen: Auf jedenfall unter zwanzig. Vielleicht eher so zehn. Wie oft soll ein Bundestagsabgeordneter und Familienvater beim Betreuer seiner nebensächlichen Doktorarbeit auftauchen?
Sprich: Der Doktorvater war mit der Arbeit nicht intim vertraut. Dasselbe gilt sowieso für den Zweitgutachter und die weiteren Mitglieder der Prüfungskomission. Letztere sind häufig von außerhalb oder von anderen Fachgebieten, um wissenschaftliche Standards aus einem anderen Blickwinkel zu begutachten.
Nun sind die kopierten Stellen in Guttenbergs Arbeit nicht aus der Standardliteratur, soweit ich das einschätzen kann. Seminararbeiten, Reden von Botschaftern, Zeitungsartikel oder Artikel des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags sind nichts, wovon ich erwarten würde, dass ein Gutachter vom Fach diese als bekannt identifizieren könnte. Darüberhinaus wurden die Stellen ja offensichtlich noch massiert, damit nicht offensichtlich wird, dass hier ein anderer Text reinkopiert wurde.
Die einzige realistische Chance, das Plagiat aufzudecken, wäre also eine stichprobenartige Internetsuche gewesen. Und hier ist die wesentliche Kritik anzusetzen, denn diese ist nicht Standard, schon gar nicht bei Juraprofessoren kurz vor der Emeritierung. Verstehen kann ich den Mann absolut, denn schon normalerweise würde ich keinen Betrugsversuch erwaten. Und dann ist der Kandidat Bundestagsabgeordneter, also ein Politiker und damit jemand dessen Laufbahn vom eigenen Ruf abhängt. Nein, ich würde so etwas dämliches nicht erwarten.
Schließlich gibt es noch eine Sache, die man im Hinterkopf behalten sollte: Wenn ein Plagiat aufgedeckt wurde, kommt es zu gruppendynamischen Prozessen. Ich kenne einen Fall, bei dem 30 Seiten ungekennzeichnet in einer Doktorarbeit abgeschrieben wurden. Nur saß der Autor in der Komission, dumm gelaufen. Der Betreuer sah darin aber kein massives Problem. Die Frage ist nun, wieviel Ärger man nun in einem solchen Fall machen will. Der Titel wurde vergeben.
Alles in allem denke ich, dass das System vernünftig ist. Der Fall wird aber hoffentlich dazu dienen, dass nichtbetroffene Dritte rückwirkend und in Zukunft vermehrt nach Plagiaten suchen, was den Druck auf Doktoranden, nicht zu betrügen, erhöht. Danke Gutti!
Vorschlagen würde ich zwei Dinge: Die Prüfungsämter der Universitäten sollten stichprobenartig nach Plagiaten in Dissertationen suchen. Ferner sollte die enge Verbindung zwischen Betreuer und Kandidatin verringert werden. Die schwedische Lösung gefällt mir dabei, dass die Komission nur aus Unbeteiligten besteht. Das löst gleichzeitig auch noch ganz andere Probleme.
Ansonsten:
- Da wo ich wohne, würden die drei kleinen Schweinchen nicht Schutz suchen. Dies ist deswegen relevant, weil gerade ein arktischer Sturm vorbeigeschaut hat. Es ist also um die Null Grad und das wo ich quasi im Freien campe. Zum Glück bin ich nun außer Haus, habe allerdings kurzfristig die Reisepläne geändert: Es fand sich kein schwacher und langsamer Doktorand, der mit mir für den Trip über die Sierras eine Donner-Party veranstaltet hätte, also Fliegen, nur um zu sehen, dass das mit dem Schnee übertrieben war.
- Nach dem Tod dreier Deutscher Soldaten durch ein Mitglied der Afghan National Army erscheinen diese beiden Videos in einem neuen Licht. Danke an Tarvo für den Hinweis.
- Schuhe bei einer Anti-Guttenberg-Demo in Anlehnung an Proteste in der arabischen Welt, bei der Demonstranten ihr Leben im Kampf gegen Diktaturen riskieren? Oberpeinlich. Ist aber Peinlichkeit international!
Entgegnung: Ich finde das System unvernünftig. Das beste daran ist noch der Zwang zur Veröffentlichung. Welche Motivation ein Bremer Uni-Jurist hatte sich eine wissenschaftlich unbedeutende Doktorarbeit anzusehen sei einmal dahingestellt, aber das Plagiate auf diese Weise entdeckt werden ist albern und sicherlich kein Kennzeichen eines funktionierenden Systems. An der Uni Göttingen gibt es einen fest angestellten Mitarbeiter der medizinische Doktorarbeiten auf ihre Form prüft. Der kontrolliert Kommasetzung, Schriftart, Rechtschreibung und andere Lappalien. Und da soll es die Lösung sein stichprobenartig zu untersuchen? Warum nicht jede Doktorarbeit durch ein Plagiatsprogramm jagen? Die gibt es sogar als Freeware überall zu bekommen.
AntwortenLöschenWarum sind die Betreuer auch die Prüfer? Schwachsinn sowas. Jaja: Geld, Zeit, professorale Unlust sich in das Thema einzuarbeiten usw., geschenkt. DFG-Anträge werden ja auch halbwegs unabhängig geprüft.
Aber was soll man auch erwarten von einem System was sich selbst kooptiert und die Unterschriften unter den Arbeitsverträgen eine ministriale Formalität sind. Die Promotion ist die wichtigste Veröffentlichung im Berufsleben eines Wissenschaftlers, da kann man schon mal genauer hinsehen finde ich.
Und nebenbei, ich würde genau so etwas erwarten, gerade in den geisteswissenschaftlichen Disziplinen. Dort ist alles Wort und nichts Experiment. Es gab auch genügend Aufsehen erregende Fälle in jüngster Vergangenheit. Man hat nichts daraus gelernt.
Ich haette auch kein Problem damit, Doktorarbeiten grundsaetzlich auf Plagiate zu pruefen. Nur: Auch Plagiatssoftware gibt keine Sicherheit, eine manuelle stichprobenartige Pruefung, die dann genauer ausfaellt, koennte sinnvoller sein. Einige wissenschaftliche Zeitschriften lassen uebrigens mittlerweile eingereichte Artikel standardmaessig durch eine Plagiatssoftware ueberpruefen.
AntwortenLöschenIch habe mich letzte Woche mit ein paar bayrischen Kollegen unterhalten. Einer meinte, dass er die Klagen der bayreuther Kollegen, auf einen Betrueger reingefallen zu sein, als scheinheilig empfinde. Seiner Meinung nach sei da absichtlich nicht genau hingeschaut worden, um sich spaeter mit einem prominenten Absolventen schmuecken zu koennen.
Bei dem Betreuer stimme ich Dir absolut zu, hatte ich ja auch vorgeschlagen. Die Zuordnung zu einem Betreuer ist absolut sinnvoll, der Abhaengigkeit sollten jedoch staerkere Grenzen als bisher gesetzt werden. Die Konstruktion in Schweden impliziert beispielsweise, dass eine Doktorarbeit gegen den Willen der Betreuerin abgegeben werden kann, ohne Nachteile bei der Benotung befuerchten zu muessen.