Die Gewerkschaften in den USA sind im großen und ganzen nicht besonders stark und die Arbeitnehmerrechte nicht besonders ausgeprägt. Mit einer wichtigen Ausnahme, und zwar dem öffentlichen Dienst, insbesondere den Lehrern. Die US-Bundesstaaten, von der Finanzkrise darauf gestossen, dass sie seit Jahrzehnten Schulden machen, müssen sparen und insbesondere die republikanischen Gouverneure haben entdeckt, dass man mal die Lehrer angehen müsste. Diese bieten erstaunlicherweise ein leichtes Feindbild: Weil die normalen Arbeitnehmer keine Rechte mehr haben, wirken Lehrer, die das haben, was man in Europa als normale Arbeitnehmerrechte ansehen würde, wie die totalen Schmarotzer mit archaischen Privilegien.
Chris Christie; Dampfwalze gegen die Lehrergewerkschaft; Nightscream, CC-by-sa |
Scott Walker, Mutterns liebster Schwiegersohn gegen die Lehrergewerkschaft; Megan McCormick, CC-by-sa |
Was nun folgt, ist absolut haarsträubend. Während im und vor dem Parlamentsgebäude zehntausende tagelang gegen Walker demonstrieren, will er abstimmen lassen. Die Opposition verlässt aber geschlossen den Staat! Damit hat er kein Quorum mehr im Parlament und kann über das Gesetz nicht abstimmen lassen. Die Republikaner jammern, das sei alles verfassungswiedrig. Die geflohenen Demokraten höhnen, dass der grosse republikanische Held Abraham Lincoln einmal, um eine Abstimmung zu verhindern, aus dem Fenster gesprungen sei. Das Restparlament beauftragt dann die Polizei, die flüchtigen Senatoren einfangen zu lassenn. Das geht aber nicht, weil die Polizei von Wisconsin in den Nachbarstaaten keine Rechte hat.
Walker und seine Komparsen, zwischendurch von einem Blogger über einen fingierten Telephonanruf ziemlich peinlich bloßgestellt, finden aber eine Lücke in der Verfassung und stimmen ohne die Demokraten ab. Diese kehren daraufhin zurück, nun als Wisconsin 14 gefeiert. Und klagen erstmal gegen das neue Gesetz. Stand: Einstweilige Verfügung erwirkt, ansonsten schwebend.
Wie ist das denn nun mit den Schulen? Ist das amerikanische Schulsystem schlecht und ungerecht, wie viele hierzulande meinen? Klar dachte ich mir, das Blogposting wird zügig gehen. Nur zeigten die Recherchen ein wesentlich differenzierteres Bild, was weniger daran liegt, dass die USA ein Bildungsparadies wären, sondern wie schlecht die Situation in Deutschland ist und es überhaupt keinen Grund gibt, auf die USA runterzuschauen. Interessantes Blog: Was ist der deutsche Traum? von der Friedrich-Böll-Stiftung.
Schaut man sich die letzte PISA-Studie an, so stellt man erstmal fest, dass die USA nicht gut abgeschnitten haben, konkret knapp hinter Deutschland. Das heißt aber erstmal nur, dass das Schulsystem insgesamt nicht gut ist und sagt nichts über Ungerechtigkeit aus. Es ist nun ziemlich schwierig, Ungerechtigkeit festzumachen und selbst wenn man sich beispielsweise auf wirtschaftliche Faktoren festlegt, ist die Frage inwieweit das Bildungssystem dafür verantwortlich ist. Festhalten lässt sich aber, dass die Kluft zwischen arm und reich in den USA größer ist als in Deutschland, die Kluft in Deutschland aber rasant steigt.
Bei der Tellerwäscher-zum-Millionär-Geschichte ergibt sich ein etwas differenziertes Bild. Während die amerikanische Gesellschaft insgesamt entgegen des Mythos vom American Dream wenig durchlässig für Aufstieg ist und zwar auch deutlich weniger als die deutsche, ist der Umgang mit Einwanderern in den USA gelungener: sozialer Aufstieg hängt weniger vom Migrationshintergrund ab als in Deutschland. Muslimische Einwanderer sind dort beispielsweise eher in Mittel- und Oberschicht anzutreffen. Sprich: Von Bildungsgerechtigkeit kann man in den USA nicht sprechen, wer arm ist, bleibt arm, aber das unabhängig von der Herkunft.
Es bleibt, dass die Situation des Schulsystems in den USA bedrohlich ist, zumindest für die Amerikaner. Einen PISA-Schock hat es dort nicht gegeben, die Studie wurde nicht breit diskutiert, obwohl das Land wie gesagt noch schlechter abgeschnitten hat als Deutschland. Großes Problem sind in meinen Augen nicht die Unis, sondern die High Schools, die schon dafür sorgen, dass viele nie eine gute Bildung erhalten. Die Finanzierung der High Schools basiert dabei auf drei Säulen, wie hier der Bundes- und Landesregierung und auf dem County bzw. der Stadt. Der Bund liefert dabei unter 10% der Finanzierung. George W. Bush hatte die gute Idee, das Monitoring der Schulen zu verbessern, es wird also Bildungserfolg der Schüler nach Schule gemessen. Gleichzeitig hat er im No Child Left Behind Act dafür gesorgt, dass zum einen schlechte Schulen weniger Geld vom Bund kriegen, damit sie noch schlechter werden und ferner Eltern in manchen Fällen Ansprich auf Bildungsgutscheine erhalten, damit sie ihre Kinder auf Privatschulen schicken können.
Das ist nicht gut, aber aufgrund der relativ geringen Beteiligung des Bundes an der Finanzierung der Schulen zu verschmerzen. Dramatischer ist die Situation der Bundesstaaten wie oben angedeutet: Lehrer verdienen im Schnitt etwas über 50.000$. Das ist kein Premiumgehalt, aber anstatt das zu erhöhen, wollen viele republikanische Gouverneure das noch senken...
Am kritischsten ist allerdings der letzte Punkte, die Finanzierung über die Counties bzw. Städte. Diese geschieht nämlich fast ausschließlich über Grundsteuern, die sich nach dem Wert eines Grundstücks bemisst. Anders ausgesagt: Eine Stadt wie Palo Alto mit einem Immobilienboom der durch Nachfrage und ein Durchschnittseinkommen von gruseligen 100.000$ gesteuert wird, kann schon mit geringen Grundsteuersätzen riesige Summen auftreiben. Eine Stadt wie Oakland, in der nur arme Leute wohnen die 2 Stunden nach San Francisco pendeln, kann auch mit hohen Grundsteuern keine riesigen Summen auftreiben. Und da entscheidet sich das eigentliche: Arme Gegenden haben schlechte Schulen, reiche Gegenden haben gute Schulen.
On another note:
- Ausländer hatten bisher keinen Rechtsanspruch auf Prüfung ihres Abschlusses
- Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Wiki!
- Wir lagen vor Madagaskar und konnten von Bord aus die menschliche Tragödie gut sehen.